Die Kinderkrankenschwester muss sich vor dem Amtsgericht verantworten. Foto: Patricia Sigerist

Eine Mitarbeiterin der Diakonie Stetten hat bei der Pflege eines Schwerstbehinderten Fehler gemacht. Die Krankenschwester hat ohne medizinische Notwendigkeit den Hoden eines 15-Jährigen angefasst.

Kernen/Waiblingen - Die Angeklagte hat schon früh gewusst, dass sie einmal einen Beruf ergreifen möchte, der mit Kindern zu tun hat. „Du bist die kleine Mutter Teresa hat man ständig zu mir gesagt, weil ich immer helfen wollte“, erzählte die 28-Jährige. Schließlich machte sie auch eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, danach fand sie eine Anstellung bei der Diakonie Stetten in Kernen.

Sieben Jahre lang hat die Angeklagte Schwerstbehinderte in einer Kindergruppe der Einrichtung gepflegt, bis ihr nach einem Vorfall im April vergangenen Jahres gekündigt wurde. Sie soll einem 15-Jährigen, der körperlich und geistig schwerstbehindert ist, ohne medizinische Notwendigkeit an den Hoden gefasst und diesen nach links und rechts gedreht haben. Die Staatsanwaltschaft wertete die Tat als sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen. Die 28-Jährige musste sich nun vor dem Schöffengericht Waiblingen verantworten.

Auf der Station machen die Mitarbeiter häufig Späße

Sichtlich unwohl fühlte sich die Frau auf der Anklagebank. Angaben zur Sache wollte sie nur über ihren Anwalt machen. Der schilderte, dass die 28-Jährige am Tag des Vorfalls eigentlich frei hatte. Weil aber so viel Arbeit angefallen war, kam sie extra, um Dienstpläne zu schreiben. „Der Umgang unter den Kollegen war wie so oft locker, man habe auf der Station gefrotzelt und Späße gemacht“, erzählte der Verteidiger. Seine Mandantin habe dann mitbekommen, dass gerade ein 15-jähriger Bewohner geduscht wurde, bei dem sie am Tag zuvor vergessen habe, dessen Hoden zu kontrollieren. „Bei dem Schwerstbehinderten kommt es an der Stelle immer wieder zu starken Schwellungen wegen Wassereinlagerungen“, erklärte der Anwalt.

Sie habe dann im Spaß den Kollegen gefragt, ob er den „Ein-Hand-Kontrollgriff“ kenne und ob seine Ehefrau diesen auch bei ihm anwenden würde. Dabei drehte sie den Hoden des Jungen kurz in beide Richtungen. „Meine Mandantin wusste natürlich, dass dieser Kontrollgriff nicht in der Medizin existiert“, sagte der Verteidiger. „Aber es ging ihr um die Kontrolle.“

Einen sexuellen Bezug soll es bei der Hoden-Kontrolle nicht gegeben haben

Das sah der Heilerziehungspfleger, der den Schwerstbehinderten geduscht hatte, aber grundlegend anders. „Es war eine unüberlegte Handlung, ich weiß nicht, was sie damit beabsichtigt hat.“ Die Anspielung auf seine Ehefrau fand er zudem überhaupt nicht witzig. „Erst war ich sprachlos, dann fühlte es sich für mich sehr unangenehm an“, sagte der 34-Jährige. Die Frage von Richter Kirbach, ob es einen sexuellen Bezug zum Opfer gegeben habe, verneinte der Zeuge glaubhaft.

Der Staatsanwalt sprach in seinem Plädoyer nicht mehr von Missbrauch, sondern von sexueller Belästigung und forderte eine Geldstrafe von 3000 Euro. Das Schöffengericht folgte allerdings dem Verteidiger und sprach die Angeklagte frei. Richter Kirbach sagte: „Es war ein Übergriff, aber es gab keine sexuelle Motivation und Erregung.“

Der Vorsitzende machte die Gesamtsituation in der Pflege und die „chronische Unterbesetzung“ auf der Station für den Vorfall mitverantwortlich. Das Opfer könne man nicht befragen, wie es sich bei der Tat gefühlt habe, sagte Richter Kirbach. „Aber man macht keine Späße auf Kosten von Pflegebedürftigen.“