Neue Direktorin und alleiniger Vorstand der Stiftung Kunsthalle Tübingen: Nicole Fritz Foto: Ulrich Metz

Näher dran an herausragenden Persönlichkeiten der Kunstszene: Die „Stuttgarter Nachrichten“-Gesprächsreihe „Über Kunst“ macht es möglich – Gast am 1. März in der Statsgalerie Stuttgart ist Nicole Fritz. Wie sieht die Direktorin der Kunsthalle Tübingen die Zukunft der Kunstvermittlung? Wir haben nachgefragt.

Stuttgart - Näher dran an herausragenden Persönlichkeiten der Kunstszene: Die „Stuttgarter Nachrichten“-Gesprächsreihe „Über Kunst“ macht es möglich – Gast am 1. März in der Statsgalerie Stuttgart ist Nicole Fritz. Wie sieht die Direktorin der Kunsthalle Tübingen die Zukunft der Kunstvermittlung? Wir haben nachgefragt.

Frau Fritz, Ihr Blick auf die Kunst geht ebenso weit zurück wie nach vorne – was macht für Sie diese zeitliche Breite reizvoll?
Mich hat schon immer das Wechselverhältnis von Kunst und Gesellschaft interessiert. In Kunstwerken sind auf nichtsprachliche Art und Weise Gedanken, Erfahrungen und damit Emotionen längst vergangener Epochen verfestigt. In Form von Kunstwerken werden diese über Jahrhunderte von einer Generation zur nächsten weitergegeben.
Das heißt für uns heute?
So können wir unser im Denken und Fühlen mit vergangenen Epochen in Verbindung setzen und, wie es Aby Warburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchaus als Anforderung formulierte, aus der „Distanz der Besonnenheit“ Erkenntnisse und Erfahrungen vergangener Zeiten nachempfinden und reflektieren. Eine solchermaßen kulturwissenschaftliche Perspektive auf die Kunst finde ich äußerst spannend.

Zeitübergreifendes Denken

Wirkt da letztlich auch die innere Logik einer Themenausstellung wie „Kunst lebt! Die Welt mit anderen Augen sehen“ von 2007 fort?
Meine Mitarbeit bei der Großen Landesausstellung, die Tilman Osterwold damals kuratiert hat, war die logische Folge dieses Interesses. Ich war sofort überzeugt, an einem Projekt mitzuarbeiten, das interdisziplinär Werke vergangener Zeiten, unter thematischen Aspekten gruppiert und so ganz neue Fragestellungen und Zusammenhänge sichtbar macht.
Es wird heute gerne von den so wichtigen Netzwerken gesprochen. Zugleich aber erwartet nicht nur das breite Publikum von Ausstellungen und Kunstinstitutionen auch Unverwechselbarkeit. Wie sehen Sie diese Situation?
Ich habe in Ravensburg ein Museum in einem städtischen Kontext aufgebaut. Grundsätzlich glaube ich, dass es sinnvoll ist, dass sich Museen, aber auch andere öffentliche Institutionen heute verstärkt nach den Bedürfnissen der Menschen ausrichten und mit den Menschen entsprechende Formate entwickeln. In Ravensburg war der Weg, das Museum ortspezifisch, mit den dort vorhandenen Zielgruppen im Dialog zu entwickeln, der richtige.
Wie sind Sie vorgegangen?
Ich habe mich, neben der langfristigen Planung der Ausstellungen, immer wieder auf Gruppen, die auf mich zukamen, eingelassen und gemeinsam Neues entwickelt. Das ist zeitintensiv und aufwendig, aber so ergibt sich aus der Arbeit ganz von selbst ein Alleinstellungsmerkmal.

Tübingen als Basis

Ist die Situation in Tübingen aber nicht eine ganz andere?
Sicher unterscheidet sich der Kontext. Aber für mich bleibt die Linie klar: Ich möchte auch hier mit den Menschen, Angebote für die Bedürfnisse vor Ort entwickeln. Dazu muss ich diese aber erstmal kennenlernen.
Der Schritt von einem Museum und der Verantwortung für eine Sammlung hin zu einem reinen Ausstellungsforum überrascht. Sehen Sie sich zuvorderst als Ausstellungsmacherin?

Ja. Mein Volontariat habe ich ja auch an einem reinen Wechselausstellungshaus gemacht, und auch an der Kunsthalle Krems hatte ich keine Sammlung. In Ravensburg konnte ich ausgehend von der Sammlung Wechselausstellungen konzipieren. Die Zeit war aber reif, wieder unabhängiger von einem vorgegebenen Rahmen Ideen zu realisieren. Die liegen ja in der Schublade und wollen verwirklicht werden.

Tübingen ist eine diskussionsfreudige Bühne – wird sich dies auch in Ihrer Vermittlungsarbeit zeigen?
Ja, Tübingen ist durch die Universität eine sehr am Wort und am Geistigen orientiertes Feld. Natürlich werden wir auf diesen Kontext eingehen. Genauso wichtig ist es aber auch, in einer zunehmend digitalisierten Welt, die unmittelbare sinnliche Erfahrung zu schulen und hier bietet die Kunsthalle Tübingen als Resonanzraums ein großes Potential.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bereits zur ersten Ausstellung, die wir Ende März eröffnen, wird es auch Formate für Kinder und Erwachsene geben, die es ermöglichen Kunst auch aktiv zu machen, nicht zur passiv zu rezipieren.

Noch immer eine bekannte Marke

Ihre Aufgabe erscheint schwierig: Die Kunsthalle Tübingen muss ja nach ihrer Sanierung und dem die Ausstellungsfläche fast verdoppelnden Anbau zunächst einmal zurück auf die Kunst-Landkarte. Was sind Ihre ersten Schritte?
Meine Wahrnehmung und Erfahrung ist, dass die Kunsthalle Tübingen bei vielen auch im Ausland, immer noch – neumodisch gesprochen – eine bekannte Marke ist. Wir müssen die Kunsthalle nicht neu erfinden, sondern in einer sich rasant verändernden Gesellschaft zeitgemäß weiterentwickeln. Vor dieser Aufgabe stehen heute auch andere Museen.
Gibt es konkrete Planungen?
Ich möchte das Haus für möglichst viele Zielgruppen öffnen. So können wir, dank eines privaten Förderers bereits von März an Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sowie jeden Donnerstag auch Studenten freien Eintritt gewähren.
Tübingen Oberbürgermeister Boris Palmer setzt ja auch darauf, dass Sie Tübinger Studierende für die Kunsthalle interessieren . . .
Wir haben ein studentisches Projekt mit der Dualen Hochschule Ravensburg initiiert, bei dem StudentInnen in den nächsten Monaten für unser Haus und die Zielgruppe der Tübinger Studenten eine Digitalisierungsstrategie erarbeiten. So wissen wir zukünftig besser, wie wir diese Zielgruppe auch erreichen können, damit verbunden ist aber auch der Ausbau der entsprechenden technischen Infrastruktur. Bereits von März an wird es ein neues Erscheinungbild und eine neue Homepage geben – und viele neue Vermittlungsangebote.
Das klingt nachdrücklich nach Neustart . . .
. . . und alles passiert in einem kleinen Team und neben dem Ausstellungsbetrieb. Kurz gesagt: Wir werden nicht alles von einem zum anderen Tag gleich umsetzen können.
Und wie sehen Sie die künftige Positionierung der Kunsthalle an sich?
Die Kunsthalle Tübingen wird wie bisher auch internationale Kunstpositionen zeigen, aber verstärkt auch vor allem in Bezug auf die Vermittlung mit Institutionen und Akteuren vor Ort in Tübingen kooperieren. Die Vision ist, einen lebendigen Kunstort als Resonanzoase zu entwickeln, an dem man sich geistig, sinnlich und auch kulinarisch stärken kann.
Auf welche Projekte dürfen wir uns dabei besonders freuen?
Für mich ist natürlich jedes Projekt gleich spannend und wichtig. Für jeden wird etwas dabei sein, für den Kunstkenner wird die März-Ausstellung „Minimal goes emotional“ spannend sein, für das breite Publikum die Sommerausstellung, die hyperrealistische Skulpturen von den 1960er Jahren bis heute vereint. Auch die erste Retrospektive zum Werk von Birgit Jürgenssen im Spätherbst ist mir wichtig, da sie eine Brücke nach Österreich schlägt und einen inhaltlichen europäischen Dialog fördert. Ich freue mich sehr auf das Tübinger Publikum und darauf, an einem so inspirierenden Ort tätig sein zu dürfen.

So können Sie dabei sein

Mit unserer Zeitung können Sie Nicole Fritz exklusiv erleben. Seien Sie dabei, wenn es am Donnerstag, 1. März, in unserer Gesprächsreihe „Über Kunst“ mit Nicole Fritz um die Weiterentwicklung der Kunsthalle Tübingen und aktuelle Möglichkeiten der Kunstvermittlung geht.

„Über Kunst“ findet statt in der Staatsgalerie Stuttgart. Beginn am Donnerstag, 1. März, ist um 19.30 Uhr im Vortragssaal der Staatsgalerie (Stirlingbau). Die Teilnahme ist kostenlos – Ihre Anmeldungen nehmen wir gern entgegen – online unter www.stn.de/galerie . https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.am-1-maerz-tuebingens-kunsthallenchefin-nicole-fritz-in-der-stn-reihe-ueber-kunst-nicole-fritz-laecheln-mit-nachdruck.128b0ac4-5719-4c88-a542-b9d782bf763d.html