Orson Welles beteuert 1938 gegenüber Reportern, er habe keine Panik auslösen wollen – und suggeriert so, es habe Panik gegeben. Foto: AP

Am 30. Oktober ging das berühmteste Hörspiel der Radiogeschichte über den Äther: Orson Welles’ „Krieg der Welten.“ Die Sendung gab sich als Live-Reportage eines Angriffs aus dem All aus. Aber hat sie wirklich eine Panik ausgelöst, wie oft behauptet wird?

Stuttgart - Her mit Schrotflinte und Mistgabel und los an die Front: Ein paar Amerikaner machen sich am Abend des 30. Oktober 1938 mutig auf, ihre Heimat zu verteidigen. Der große Krieg ist da, wenn auch nicht der von den Nazis ausgelöste Krieg in Europa, vor dem politische Kommentatoren seit Monaten warnen. In New Jersey sind Invasionstruppen vom Mars gelandet. Erste Einheiten von Polizei und Militär sind bereits vernichtet, im Rundfunk live die Schreie der Opfer zu hören. Immer wieder bricht die Übertragung zusammen, muss zurück ins Studio geschaltet werden.

Wer nun in Panik flieht, wird kein Elend als Unbehauster im eigenen Land erleben, und wer dorthin fährt, wo die Invasoren angeblich wüten, keinen Orden als Held erhalten. Beide Gruppen sind auf das bis heute berühmteste Hörspiel der Radiogeschichte hereingefallen, auf Orson Welles’ Radiovariante von H. G. Wells’ 1897 erstmals erschienenem Roman „War of the Worlds – Krieg der Welten“.

Massenpanik zu Halloween?

Zu Halloween 1938 wollte die wöchentlich auf CBS zu hörende Truppe von Welles, das Mercury Theater on the Air, etwas ganz Besonderes bieten, eine ins Reportagekostüm vermummte Fiktion: Fake-News, wie wir seit einigen Jahren dazu sagen. So clever das erhalten gebliebene, unter anderem im Internet abrufbare Hörspiel gemacht ist, so amüsiert man es heute noch hören mag – seinen Nachruhm hat es vor allem der im Lauf der Jahrzehnte immer wieder erwähnten Massenpanik zu verdanken, die es ausgelöst haben soll. Seit Anfang des Jahrtausends aber sind die Zweifel gewachsen und die ernsthaft Nachforschenden zur Überzeugung gelangt: Die wirklich durchschlagende Fake-News ist die Mär von der Massenpanik.

Der 1915 geborene Orson Welles war Ende der Dreißiger die neue Sensation der New Yorker Theaterwelt. In staunenswerter Dichte brachte sein Mercury Theater Inszenierungen auf die Bühne. Welles aber war mit diesem Kraftakt noch nicht ausgelastet. Der Regisseur und Schauspieler sollte später, nach dem Triumph seines Spielfilms „Citizen Kane“ (1941), vor allem als Querkopf in die Filmgeschichte eingehen, der über sich und andere stolperte, dem nichts so geriet wie geplant. Im Sommer 1938 aber war er der Tausendsassa, dem alles gelang. Er brachte seine Truppe als Mercury Theater on the Air bei CBS unter: Jede Woche musste ein einstündiges Hörspiel live eingespielt werden, meist auf literarischen Klassikern basierend, ein mörderisches Arbeitspensum. Er habe, sagte Welles einmal, nicht mehr gewusst, was Schlaf sei.

Zweifel an der Wirkung

Als Welles „War of the Worlds“ als Halloween-Stoff vorschlug, war das Ensemble wenig begeistert. Zu altmodisch schien der Text, zu verbraucht. Ein erster Entwurf bestätigte alle Befürchtungen. Nur mangels realisierbarer Alternativen machte man weiter. Bis zum letzten Moment wurde herumgestrichen, verworfen, wieder eingefügt, nach Tricks gesucht, um die Live-Reportage überzeugend wirken zu lassen.

Dass alles ein Spiel war, wurde viermal verkündet: vor der Sendung, vor der Werbepause, nach der Werbepause und am Ende des Hörspiels. Zu Beginn las Welles eine Prosapassage aus dem Roman, die das Geschehen in die Vergangenheit rückte. Auch das machte jedem, der von Anfang an zuhörte, das Imaginäre der Invasion klar.

Besorgt um die Leichtgläubigen

Trotzdem gab es noch während der Sendung besorgte Anrufe bei der Polizei und bei CBS. Ja, einige waren auf die Täuschung hereingefallen. Aber nicht wenige riefen wohl, ein Muster heutiger Fake-News-Debatten, voller Empörung an: Sie trauten sich selbst zu, die Fiktion zu durchschauen, aber anderen nicht. Sie beschwerten sich, welche Verwirrung die Sendung bei den Leichtgläubigen stiften könne.

Doch neben Welles, der die Reaktionen auf sein Hörspiel werbewirksam übertrieb, verbreiteten auch Zeitungen, unbesorgt um die Faktenbasis, Geschichten über die Massenpanik. Sensationsgier war nur eine Triebfeder dieser Schludrigkeit. Der Rundfunk schnappte den Zeitungen große Werbekunden weg. Nun wollten sich einige Verlage die Chance nicht nehmen lassen, das Unseriöse, das Gemeingefährliche, das dringend Regulierungsbedürftige des Konkurrenten herauszustellen. Es musste eine Panik in großem Ausmaß einfach gegeben haben, weil sich so viele eine wünschten: Welles, die Zeitungen, die Leser.

Die Legende lebt

1940 veröffentlichte Hadley Cantril, Professor an der Uni Princeton, eine Studie, die auf sechs Millionen Hörer kam, von denen 1,2 Millionen in Panik geraten seien. Lange galt das als Korrektur der Idee einer landesweiten Furchtwelle und gerade darum als glaubhaft. Neuere Untersuchungen aber haben Cantrils Arbeit zerpflückt, die methodische Ungenauigkeit wohl mit Bauchgefühlen und freihändiger Schätzung anreicherte.

In seinem Buch „Broadcast Hysteria“ über Orson Welles und die Kunst der Fake-News stellt A. Brad Schwartz, der sich mit den Lob- und Beschwerdebriefen von damals befasst hat, 2016 resigniert fest, die tatsächliche Wirkung der Sendung werde sich nie mehr ermitteln lassen. Welles hat es geschafft: Aus dem Spiel wurden Fake-News, aus Fake-News entstand eine von vielen geliebte Legende. Und gegen den Wunsch, etwas zu glauben, ist kein Kraut gewachsen.