Petra Spindler in dem detailverliebt nachempfundenen Kleid der Königin Olga Foto: Harald Frank

„Mei Karle“ sagt Petra Spindler, wenn sie von König Karl spricht. Die Stuttgarterin schlüpft ins Kleid von Königin Olga, um sie zu ehren. Wir erinnern an die kinderlose Zarentochter, deren Mann schwul gewesen sein soll.

Stuttgart - Wann ging das Glück von „Olly“, wie Königin Olga von ihrer Familie genannt worden ist, angesichts ihrer Kinderlosigkeit und ihres homosexuellen Ehemanns in Leid über? Die Gruft mit dem Sarkophag der 1892 verstorbenen Zarentochter befindet sich im Alten Schloss. Nicht weit davon entfernt steht im neuen Stadtpalais die Büste jener Frau, ohne die es in Stuttgart wohl kein Olgahospital, kein Olgaeck und keine Olgastraße geben würde.

Als Cornelia Ewigleben, die Chefin des Landesmuseums, die Kollegen bei der Eröffnung im früheren Wilhelmspalais besuchte, fiel ihr sofort die hagere Gestalt der ausgestellten Königin auf. „Die Olga ist immer dünner geworden“, sagte die Archäologin und Historikern, „sie war vergrämt, weil die Ehe mit ihrem immer dicker werdenden Karl eine Qual war.“

Am 23. Mai kommt sie im Olga-Kleid zum Gemeinderat

Alles andere als vergrämt ist die ehemalige Sekretärin Petra Spindler, die im Ruhestand Zeit zur Olga-Pflege hat. Die Stuttgarterin lacht gern und ist nicht auf den Mund gefallen. Die württembergische Königin Olga hat es ihr so sehr angetan, dass sie deren berühmtes Tüllkleid in Weiß mit blauen Blumen und zarten Spitzen, das Franz Xaver Winterhalter auf seinem ebenso berühmten Gemälde 1865 festgehalten hat, originalgetreu und detailverliebt von einer Schneiderin nachnähen ließ. Der Preis dafür war hoch, aber sie verrät ihn nicht. Im Olga-Kleid hat man Frau Spindler etwa bei der Langen Nacht der Museen mit ebenfalls historisch gekleideten Mitgliedern der Hobbygruppe „Hochadel 1860“ gesehen.

Wenn die Kopie der Olga mit ihrer Hofgesellschaft auf dem Schlossplatz flaniert, kommen die Selfiefotografen mit dem Klicken kaum nach. Viele trauen ihren Augen nicht. Hat eine Zeitmaschine die Regentin aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart geholt? An diesem Sonntag, 14 Uhr, kommt der kostümierte „Hochadel“ zur Villa Berg, um die Projektgruppe zu unterstützen, die sich für eine kulturelle Neunutzung des Gebäudes einsetzt, im dem Karl und Olga Bälle mit Walzertanz feierten. Am 23. Mai, wenn der Gemeinderat über die Zukunft des Kleinods entscheidet, wird Petra Spindler, die schon immer Spaß am Verkleiden hatte, auf der Empore des Sitzungssaales ermahnend im Olga-Kleid zuschauen, als wolle die Zarentochter persönlich darüber wachen, ob die Stadt ihrem Erbe gerecht wird.

„Karl hat seine Olga wirklich geliebt“

Was sich im 19. Jahrhundert am Hofe Württembergs zugetragen hat, würde heute Boulevardmedien in Begeisterung über immer neue Schlagzeilen versetzen. Karl Friedrich Alexander von Württemberg, von 1864 bis 1891 der dritte König im Neuen Schloss, glänzte durch Abwesenheit – ihn zog es nach Italien, mit dem um 27 Jahre jüngeren Charles Woodcock, der als einer der Geliebten des Königs gilt. Um seine Amtsgeschäfte kümmerte sich oft die zurückgelassene Olga.

Für Petra Spindler indes ist es nicht erwiesen, dass Karl schwul war, wie Historiker in vielen Büchern schreiben. „Er hat seine Olga wirklich geliebt“, sagt sie, was sich in Briefen beweisen ließe. Mit seinem Vater, König Wilhelm, habe Karl als Kronprinz große Probleme gehabt. „Er ist ihm deshalb ausgewichen und war mit Kumpels unterwegs“, betont die Olga-Darstellerin. Nur weil die Ehe mit der Zarentochter kinderlos geblieben ist, bedeute dies nicht, dass er nichts mit ihr gehabt habe. Keiner kann Karl und Olga heute fragen, wie es wirklich war. Damals wusste keiner, was ein Outing ist. Aber nein, sie habe nichts dagegen, wenn der dritte Württemberg-König tatsächlich auf Männer stand. Aber man dürfe die andere Möglichkeit nicht ausschließen, findet sie.

Königin Olga steht im Schatten der beliebten Königin Katharina

Petra Spindler – sie ist Mutter und Großmutter, nicht kinderlos wie ihr Idol – hält es für unfair, dass Königin Olga heute im Schatten der beliebten Königin Katharina steht. Olga war 18 Jahre lang Kronprinzessin und 23 Jahre lang Königin – Katharina nur zweieinhalb Jahre Königin. „Katharina ist wegen des Volksfestes und der Grabkapelle bekannter“, sagt Frau Schindler. Ohne eigene Kinder fand Olga Erfüllung in sozialer Fürsorge. Unter anderem hat sie die Nikolauspflege für Blinde gegründet, benannt nach ihrem Vater Zar Nikolaus.

Die Adoption von Olgas Nichte soll das Verhältnis mit Karl verbessert haben. Die gemeinsame Liebe zu Kunst und Theater habe die Eheleute wieder zusammengeführt. Petra Spindler sagt vertraulich „mei Karle“, wenn sie vom König spricht. Träumt sie als Olga? „Aber nein“, lautet die Antwort, „wenn ich das Kleid ausziehe, streife ich die Vergangenheit völlig ab.“