Die Dresdnerin Sarah Straube (17/li.) gilt als großes deutsche Talent, Alexandra Laziz zählt zu den zahlreichen ausländischen Profis bei Allianz MTV Stuttgart. Foto: imago//Tom Bloch

Allianz MTV Stuttgart will im Finale gegen den Dresdner SC den deutschen Pokal holen – mit einem Team voller Volleyball-Legionäre

Stuttgart/Mannheim - Es ist ein durchaus realistisches Szenario, dass der letzte Ballwechsel des Pokalfinales so ablaufen wird: Aufschlag Dresdner SC. Roosa Koskelo (Finnland) nimmt an. Cansu Aydinogullari (Türkei) spielt zu. Krystal Rivers (USA) punktet. Martina Samadan (Kroatien), Celine van Gestel (Niederlande) und Alexandra Lazic (Schweden) jubeln – Allianz MTV Stuttgart ist deutscher Pokalsieger, ohne dass eine deutsche Volleyballerin auf dem Feld stand. Aus Sicht von Kim Renkema wäre das nicht nur ein riesiger Erfolg, sondern auch ein Beispiel für gelebte Integration. „Es ist harte Arbeit, aber auch eine geile Erfahrung, mit Spielerinnen aus so vielen Nationen und Kulturen ein Ziel zu verfolgen“, sagt die Sportchefin des Meisters, der an diesem Sonntag (16.30 Uhr) in der Mannheimer SAP-Arena den Pokal gewinnen will. Und Renkema fügt mit einem Funkeln in den Augen hinzu: „Mit diesem Team einen Titel zu holen, würde mich noch stolzer machen.“ Ungeachtet der Fragen, die sich stellen.

Klar ist: Im Erfolg spielt keine Rolle, wer spielt. Aber braucht es nicht Identifikationsfiguren für den Fall, dass es mal schlechter läuft? Und was sagt ein Team voller Legionäre über die eigene Nachwuchsarbeit aus?

Nachhaltige Vereinsarbeit

Die Zeit, als der Dresdner SC die Nummer eins im deutschen Frauenvolleyball war, liegt noch nicht lange zurück. 2014 und 2015 gewann der DSC die Meisterschaft, 2016 sogar das Double – zwar auch mit deutschen Spielerinnen, vornehmlich aber dank ausländischer Stars. „Wir waren zuvor dreimal in Folge Vize-Meister, hätten damals auch mit dem Teufel paktiert, um endlich wieder einen Titel zu holen“, sagt Trainer Alexander Waibl, „doch dann haben wir gemerkt, dass viele Leute schon die dritte Meisterschaft nicht mehr richtig wertgeschätzt haben.“ Weil die Fans laut Waibl ein feines Gespür dafür haben, wie nachhaltige Vereinsarbeit auszusehen hat, wie Talente entwickelt werden, welche Spielerinnen sich der Region verbunden fühlen. Kurz: ob ein Club eine DNA entwickelt hat und, wenn ja, wie er sie lebt. „Wir haben uns damals ganz bewusst entschieden, den Nachwuchs noch stärker zu fördern“, sagt der Coach des Dresdner SC, „auch wenn dies zunächst zu Lasten der Platzierung geht. Aber am Ende wird es sich für den Verein lohnen, da sind wir sicher.“

Längst eine Größe beim DSC ist Mittelblockerin Camilla Weitzel (19), zum Team für das Pokalfinale zählen aber auch Monique Strubbe (18) und Sarah Straube (17), die seit Herbst Zuspielerin Mareen von Römer (fällt nach einer Lungenentzündung aus) ersetzt und fest zum Kader gehört. „Wir hätten es uns leichter machen können, indem wir eine Zuspielerin nachverpflichten“, sagt Waibl, „doch wir wollten Sarah Straube die Chance geben, sich zu entwickeln. Sie ist ein riesen Talent, und ich weiß, dass sie uns noch viel Freude machen wird.“

Große personelle Sorgen

Straube wechselte mit 13 Jahren in die Dresdner Nachwuchsschmiede, die den Ruf hat, Talente bestens zu formen. Alexander Waibl, der zuvor mit Allianz Volley Stuttgart in die Bundesliga aufgestiegen war, ist seit 2009 Chefcoach des Dresdner SC – und stolz darauf, dass in dieser Zeit 20 Volleyballerinnen aus der eigenen Jugend den Sprung in die Bundesliga geschafft haben: „Das ist außergewöhnlich.“ Und wird auch anerkannt. „Was die Struktur in der Nachwuchsarbeit angeht“, sagt Kim Renkema, „ist der Dresdner SC neben dem Schweriner SC unsere Benchmark.“ Wohlwissend, dass es im eigenen Verein noch viel zu tun gibt.

Allianz MTV Stuttgart plagen in dieser Saison große personelle Probleme. Eigentlich hätten die Zuspielerinnen Kathleen Weiß und Pia Kästner – neben Ersatz-Libera Annie Cesar – das deutsche Element verkörpern sollen. Doch Weiß trat ihren Vertrag erst gar nicht an, weil sie plötzlich lieber Polizistin werden wollte. Und Kästner hat verletzungsbedingt noch kein Spiel bestritten. Da zudem Außenangreiferin Channon Thompson seit Anfang November ausfällt, wurden gleich drei Profis nachverpflichtet: Cansu Aydinogullari, die erste Türkin in der Bundesliga, Ainise Havili und Simone Lee (beide USA). Alternativen in Deutschland? Oder gar im eigenen Nachwuchs? Gab es nicht. „Wir hatten keine andere Möglichkeit“, sagt Kim Renkema, „auf dem Niveau, das wir benötigen, sind kaum junge deutsche Spielerinnen zu finden, die nicht in Schwerin oder Dresden sind. Und zwischen unserem Zweitliga-Team und der Champions League besteht ein riesen Unterschied.“

Der Stuttgarter Weg

Was nicht heißt, dass es für die Zukunft nicht andere Denkmodelle geben würde. Früher, das räumt die MTV-Sportchefin ein, habe der Fokus der Verantwortlichen nicht unbedingt auf der Entwicklung eigener Talente gelegen. Mittlerweile sei das anders. „Wir sind daran, einen Stuttgarter Weg zu entwickeln und diesen zu Papier zu bringen“, sagt Kim Renkema, „das Fernziel ist, jedes Jahr eine Spielerin aus unserem Nachwuchs in die Bundesliga zu bringen – am liebsten natürlich in unser Team.“

Erste Ansätze gibt es. Lara Berger (18) gehört fest zum Bundesliga-Kader, spielt zudem in der Zweitliga-Mannschaft. Wenn sie erst mal ihr Abitur in der Tasche hat, soll sie auch volleyballerisch die nächsten Prüfungen angehen. Iane Henke, Marie Hänle und Janna Schweigmann, drei Talente aus dem Stuttgarter Bundesstützpunkt, haben die Chance, zum VCO Berlin zu wechseln – dem Nachwuchsprojekt des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV). „Das ist auch eine große Auszeichnung für unsere Arbeit“, sagt Kim Renkema, „was bei uns am Bundesstützpunkt geleistet wird, ist herausragend. Es gibt dort vier, fünf Spielerinnen, die das Zeug haben, ganz nach oben zu kommen.“

Woran, neben den anderen Verantwortlichen und Trainern der MTV-Akademie, auch Sebastian Schmitz großen Anteil hat. Er ist nicht nur der Coach am Stützpunkt, sondern gehört zugleich zum Betreuerstab von Athanasopoulos. „Das zeigt, dass Bundesliga-Team und Nachwuchsabteilung immer weiter zusammenwachsen und langsam eins werden“, sagt Sportchefin Renkema, „in Dresden und Schwerin wird schon seit 25 Jahren Talentförderung in vorbildlicher Struktur gemacht, da sind wir noch nicht. Aber auch bei uns stimmt nun die Richtung. Unsere Vision ist, junge Spielerinnen so auszubilden, dass man sieht, dass sie in Stuttgart ausgebildet worden sind. An dieser Vision arbeiten wir voller Engagement.“

Nur der Erfolg zählt

Und trotzdem gibt es keine Garantie, dass die Rechnung aufgeht. Weil nicht nur die Talente mitspielen müssen, sondern unter dem Strich im Profisport vor allem der (kurzfristige) Erfolg zählt. „Wir können nicht auf deutsche Spielerinnen setzen, nur um deutschen Spielerinnen im Team zu haben“, sagt Renkema, „unser Ziel ist, Titel zu holen – am liebsten mit Deutschen. Und wenn das nicht geht, ist mir am Ende der Titel wichtiger.“

Ein Szenario, das schon an diesem Sonntag in Mannheim Realität werden könnte.