Ministerpräsident Kretschmann verspricht "konstruktiv-kritische Begleitung" - CDU reicht das nicht.

Stuttgart - Die Kehrtwende in der Haltung zu Stuttgart 21 fällt den Grünen nicht leicht. Trotzdem wollen sie ihren Protest auf der Straße beenden. Doch die CDU will mehr. Beobachtungen im Landtag am Tag nach der Volksabstimmung.

Etwas blass ist er im Gesicht nach der langen Nacht, fast so blass wie sein Nebensitzer Nils Schmid. Doch Winfried Kretschmann sagt: "Ich habe erstaunlich gut geschlafen." Und nach einer seiner typischen Kunstpausen fügt der Grünen-Regierungschef hinzu: "Weil gestern ein guter Tag für die Demokratie war."

Da sitzen sie also, die Kämpen der Bahnhofsfront, und klopfen nicht nur dem Volk, sondern auch sich selbst kräftig auf die Schultern. Der grün-roten Koalition sei es gelungen, auch ein schweres Konfliktthema demokratisch gut zu wenden, sagen sie. Diesen Schwung, da wurden sie sich in der morgentlichen Kabinettssitzung schnell einig, will man jetzt für eine noch intensivere Bürgerbeteiligung nutzen.

Und noch eins haben sie vereinbart zu früher Stunde: "Wir werden jetzt umschalten von ablehnend-kritisch zu konstruktiv-kritisch", sagt Kretschmann über die neue Haltung zu Stuttgart 21. Sollten Probleme beim Bau auftauchen, und damit rechnet er, so werde man diese "lösungsorientiert" angehen. So sieht sie also aus, die Wende der Grünen, nachdem das Volk gesprochen hat. "Denn mehr Demokratie", so Kretschmann mit Tremolo in der Stimme, "kann man einfach nicht machen."

Dazu passt, dass auch der Grünen-Landesvorstand eine Kehrtwende beschließt. "Wir halten das Projekt weiterhin für falsch", heißt es in einer Resolution, "wir werden aber unseren grundsätzlichen Protest gegen Stuttgart 21 beenden." Landeschefin Thekla Walker sagt, die Partei sehe ihre Aufgabe nun nicht mehr darin, "den Protest auf die Straße zu bringen".

Auch im Verhältnis zum Bauherrn soll sich Grundlegendes ändern: "Die Bahn ist unser Partner", sagt Kretschmann fast nebenbei - als habe man nie schlecht über das Unternehmen gesprochen. Natürlich schneidet er die Kostenfrage an. Doch will er dieses Thema keineswegs als Hebel benutzen, um das Bahnprojekt doch noch zu kippen: "Darum geht es nicht mehr, ich mache jetzt nicht so weiter."

Dass es da auch einen Verkehrsminister gibt, der die Bahn bisweilen als Hort der Lüge und deren Chef fast als den Leibhaftigen darstellte - geschenkt. "Es ist das Wesen der Demokratie, dass eine Regierung sich beugen muss", belehrt Kretschmann die versammelte Medienschar. Nun gebe es eben eine neue, eine höhere Legitimation. Dass Winfried Hermann deshalb zurücktreten solle, sei abwegig: "Sonst hätten in der Schweiz schon ganze Parlamente zurücktreten müssen", spielt Kretschmann auf eidgenössische Volksabstimmungen an. Hermann steht derweil im Landtags-Foyer und erklärt in diverse Fernsehkameras, warum das Bahnprojekt bei ihm hervorragend aufgehoben sei.

Nils Schmid als großer Versöhner

Den Gleichklang mit der Bahn sucht Grün-Rot nicht nur bei Stuttgart 21, sondern auch bei anderen Projekten. Beim Ausbau der Südbahn zum Beispiel oder bei der Gäubahn. Den eigentlich für April geplanten Bahngipfel will Kretschmann deshalb auf Jahresanfang vorziehen: "Wir sollten auch über alle anderen Verkehrsprojekte reden und uns auch vereinbaren." Oder wie SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel später sagt: "Wir wollen ein geschlossenes Konzept für die nächsten zehn Jahre."

Nils Schmid, der Erfinder der Volksabstimmung, gefällt sich derweil in der Rolle als großer Versöhner. Nein, Minister Hermann müsse nicht zurücktreten, sagt er. Ja, es sei das übergeordnete Ziel, den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu wahren. Deshalb werde die SPD mit dem Bürgervotum vertrauensvoll umgehen. Auch Schmiedel gibt sich konziliant und warnt die S-21-Befürworter vor triumphalen Gesten: "Es verbietet sich, wie das die CDU macht, von Sieg und Niederlage zu sprechen." Schließlich hätten 40 Prozent das Projekt abgelehnt.

Doch so viel Großmut wollen die Christdemokraten nun auch wieder nicht zeigen. Stattdessen schwärmt Parteichef Thomas Strobl von den "klaren Verhältnissen" und erinnert daran, dass die CDU schon immer für die Tieferlegung des Bahnhofs war.

Auf den Regierungschef sieht er jetzt eine besondere Aufgabe zukommen: "Ich erwarte, dass er sich innerhalb von 24 Stunden mit Hermann am Bahnhof blicken lässt." Dort solle er den Stuttgart-21-Gegnern nicht nur "erklären, was Demokratie bedeutet", sondern auch deeskalierend auf sie einwirken.

Auch Fraktionschef Hauk stellt Forderungen. Es reiche nicht, wenn Kretschmann das Projekt kritisch-konstruktiv begleiten wolle: "Wir erwarten konstruktiv-fördernde Begleitung." Verzögerungen dürfe es nicht mehr geben, denn das sei der eigentliche Grund für Kostensteigerungen.

Auch mit der Interpretation der sogenannten Sprechklausel in den S-21-Verträgen ist Strobl nicht einverstanden. Wenn der Regierungschef sage, er wolle über Kostensteigerungen nicht reden, sei das Vertragsbruch. Eine Sprechklausel bedeutet laut Strobl: "Wenn es teurer werden sollte, setzt man sich zusammen und berät darüber." Schmiedels Interpretation lautet hingegen so: "Die Koalition hat festgelegt: Das Sprechen besteht eher im Zuhören."

Wenigstens innerhalb der Koalition möge man doch nun "mit einer Stimme sprechen", bittet Schmiedel. Ob das funktioniert? "Aus Gegnern werden ja nicht über Nacht Befürworter", sagt Grünen-Landeschef Chris Kühn nüchtern. Kritisch begleiten will er das Projekt weiterhin.

Bleibt die Frage, warum das Volk sich so deutlich entschieden hat. Kretschmann vermutet, dass folgendes Argument gezogen hat: "Man gibt Geld aus, und hat nichts." Dagegen hätten die Grünen wenig sagen können. Letztlich sei auch das Wunder ausgeblieben: "An Wunder kann man glauben, aber man kann sie nicht bestellen."