Alles real gedreht: Szene aus Christopher Nolans „Interstellar“ Foto: Verleih

So nah an der Zukunft war die Stuttgarter Fachkonferenz FMX lange nicht: Namhafte Propheten der virtuellen Revolution haben sich vier Tage lang die Klinke in die Hand gegeben.

Stuttgart - So nah an der Zukunft war die Stuttgarter Fachkonferenz FMX lange nicht: Namhafte Propheten der virtuellen Revolution haben sich vier Tage lang die Klinke in die Hand gegeben. Das meistverwendete Symbolmotiv, das virtuelle Realität (VR) leicht verstehbar macht: Pablo Picasso, wie er mit Licht in den Raum malt – 1949 mit extrem langer Belichtung als Reihe fotografiert von Gijon Mili.

„Grafische Elemente werden Teil unserer Kommunikation werden“, sagt am Donnerstag im Haus der Wirtschaft der Amerikaner Ken Perlin, der die Möglichkeiten von VR erforscht. In seinen Experimenten malen Menschen mit VR-Brillen Objekte in den virtuellen Raum oder umkreisen das vibrierende Modell eines Atoms, als wären sie geschrumpft. Perlins Prognose: „2030 werden alle VR-Brillen besitzen, 2045 werden es Kontaktlinsen sein.“

Der Übergang freilich könnte Tücken haben. Facebook-Gründer „Mark Zuckerberg träumt von einer Zukunft, in der wir alle Superhelden sind, während wir Katzenfotos teilen“, sagt Perlin, und zeigt ein Motiv aus dem Animationsfilm „Wall-E“: Träge und verfettet ruhen die Menschen auf Liegen – wer alles virtuell erledigen kann, muss nicht mehr aufstehen.

Aus Sicht von Mark Bolas (USA) darf VR nicht die Realität nachahmen. „Wir müssen die Realität brechen, wenn wir zur wahren Natur des Mediums vorstoßen wollen”, sagt er und nennt als Beispiel Trainings-Anwendungen fürs Militär; „Interessant wird das doch deshalb, weil man durch Mauern sehen und Kampfsituation aus unterschiedlichen Blickwinkeln anschauen kann.“

Für Bolas ist VR eine Rettung aus dem Raubbau des Menschen am Realen: „Architekten können dort wunderbare, begehbare Gebäude errichten, die real nicht realisiert werden, und sie verbrauchen dabei keine Ressourcen und produzieren keine Klimagase.“ Eine Klippe: die Selbstwahrnehmung, „wer wir zu sein glauben“. Eine Testperson sieht sich im virtuellen Raum im Spiegel als Roboter. „Die Gestalt hat Einfluss darauf, wie wir uns fühlen, das fängt ja schon damit an, ob wir Anzug oder Freizeitkleidung tagen.“

Demnächst kommt ein erstes Konsumentenprodukt auf den Markt. Alex Laurant (USA) präsentiert die Hololens von Microsoft, eine transparente Brille, in der sich reale und virtuelle Welt zur „Mixed Reality” (MR) vereinen. Die Steuerung soll intuitiv erfolgen mit Blicken, Gesten und Sprache. Jemand malt eine Rakete in die Luft, und sprüht sie mit virtuellen Farbdosen bunt an, Leute steigen in virtuelle Autos, wo eigentlich nur ein Sitz steht, und können alle Details aus der Nähe begutachten. Besonders diese Anwendung müsste im Raum Stuttgart eigentlich auf Interesse stoßen.

Wenn digitale Welten den Alltag durchdringen, verliert der Spielfilm seinen Vorsprung der Nullerjahre. Hoffnung verbreitet da Paul Franklin (GB), der mit seiner Firma Double Negative Oscars bekommen hat für Effekte in Christopher Nolans Filmen „Inception“ und aktuell „Interstellar“; sein FMX-Vortrag ist wie eine Zeitreise, erinnert Roland Emmerich und Volker Engel, die vor langer Zeit in einer Magstadter Scheune von Hand die Kulisse zu „Moon 44“ bastelten.

„Chris filmt gerne reale Dinge“, sagt Franklin, sprich: Nolan hat eine analoge Ader. Für „Interstellar“ ließ er ein komplettes Farmhaus bauen und hektarweise Mais anpflanzen, er hat die Staubstürme mit Ventilatoren erzeugt und riesige Modelle von Raumschiffen gebaut, er hat in Island wochenlang auf einem Gletschersees gedreht.

„Die Bilder haben eine starke haptische Qualität, die mit digitalen nicht zu erreichen ist“, sagt Franklin. „Man sieht, dass die Schauspieler sich durch reale Widrigkeiten kämpfen.“ Der Schmutz auf dem Gletscher wurden nicht digital retuschiert, historische Aufnahmen von Raumschiffen dienten als Vorlagen, und selbst digitale Bilder sind real unterfüttert: Der Astro-Physiker Kip Thorn trug den jüngsten Stand der Wissenschaft bei, etwa was Schwarze Löcher angeht.

Die virtuelle Zukunft ist keines – zumindest so lange Leute wie Franklin und Nolan die Qualitäten des Bestehenden weltöffentlichkeitswirksam propagieren und pflegen.