Gesucht wurde ein Mittel gegen Herzerkrankungen, heraus kam Viagra. Foto: dpa

Wann ist ein Mann ein Mann? Spätestens bei einer Potenzstörung stellen sich Männer diese Frage. Vor allem, weil nicht nur Ältere, sondern zunehmend auch 30- bis 35-Jährige von dem Problem betroffen sind.

Stuttgart - Es gibt Themen, über die Mann nicht gerne spricht. Erektile Dysfunktion (ED, besser bekannt als Impotenz) ist so ein Thema, dass Männer umtreibt. Wenn es sexuell nicht so läuft, wie es sollte, und die eigenen Ansprüche oder die der Partnerin an ein erfülltes Sexualleben unerfüllt bleiben, wird es für den lendenlahmen Mann schnell existenziell. „Für Männer war die Pille eine sexuelle Revolution“, sagt Frank Sommer, Professor für Männergesundheit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Zuvor gab es kein orales Medikament, das eine Erektion hervorrufen konnte – nur Spritzen, Vakuumpumpen und Implantate.

1998 brachte der US-Pharmakonzern Pfizer Viagra auf den Markt. Ursprünglich suchten die Forscher des Pfizer Central Research nach einem Medikament gegen Herzerkrankungen. Der von ihnen entwickelte Wirkstoff Sildenafil floppte zwar im Brustbereich, dafür aber hatte er ungeahnte Folgen in der Lendengegend. Die gefäßerweiternde Sub-stanz aus der Gruppe der sogenannten PDE-5-Hemmer bringt die Manneskraft wieder zum Schwellen. Sie verbessert die Potenz und wirkt schlagartig bei Erektionsstörungen.

Der Viagra-Hype ist inzwischen abgeklungen, doch die Wirkung des blauen Wundermittels ist geblieben. Einfach eine Pille einwerfen – und schon ist man für ein paar Stunden leistungsfähig. Sildenafil verhilft 70 Prozent der Männer mit akuten Problemen zur Erektion. Vorausgesetzt, die männliche Libido wird stimuliert. Ohne Lust funktioniert auch Viagra nicht. „Man kann nicht eine Pille schlucken und hat dann eine Erektion“, erklärt der Paar- und Sexualtherapeut Ulrich Clement. „Deshalb scheitern auch solche Männer mit Viagra, die sich von ihrer Partnerin sexuell zurückziehen und nur eine Ausrede suchen.“ Auf die Vorzüge von Viagra und die Nachahmerpräparate lässt der Heidelberger Psychologe dennoch nichts kommen. „Diese Medikamente sind ein Segen. Sie haben kaum Nebenwirkungen und funktionieren gut.“

Erektionsstörungen treten immer früher auf

In Deutschland sind schätzungsweise fünf Millionen Männer – ältere mehr als jüngere – von Erektionsstörungen betroffen. Mittlerweile treten dem Urologen Sommer zufolge schon bei 30- bis 35-Jährigen immer häufiger organisch bedingte Erektionsstörungen auf. „Das liegt vor allem am ungesunden Lebensstil. Wir bewegen uns weniger, ernähren uns schlechter, haben mehr Stress.“

Kaum ein Geheimnis wird von Männern so streng gehütet wie eine Potenzstörung. Sie verstummen, wenn sie nicht mehr können. Ein paarmal gescheitert, schon gerät Mann in eine Impotenz-Abwärtsspirale. Ein Teufelskreis, in dem die Libido schwindet, Psyche und Partnerschaft leiden. Seit es aber Viagra gibt, stellen sich Betroffene sehr viel früher ihrer mangelnden Standfestigkeit, wie Sommer berichtet. „Früher haben Männer im Durchschnitt zehn bis 20 Jahre gewartet, bis sie wegen Potenzstörungen zum Arzt gegangen sind. Heute warten die meisten nicht länger als ein Jahr.“

Wer an ED leidet, sollte nicht nur an den Symptomen herumdoktern und eine Pille schlucken. Die Lösung des Problems sei in vielen Fällen so einfach, betont der Urologe. „Wir versuchen in unserer Klinik die Ursache herauszufinden und das Defizit zu reparieren, damit der Patient weniger Viagra braucht oder ganz davon wegkommt.“

Viagra kann jedoch nur wirken, wenn die Nerven im Penis intakt sind. Auch darf die Potenzmuskulatur nicht zu schwach oder defekt sein. Wenn es allerdings nur darum geht, dass die Durchblutung des männlichen Glieds mangelhaft ist, hilft das Mittel in den meisten Fällen. Sommer sieht in Viagra einen Starthelfer, der verunsicherten Männern das befriedigende Gefühl vermitteln kann, dass wieder was geht. Der Teufelskreis aus Versagensängsten, Dysfunktion und Depression werde durchbrochen. „Kleiner Aufwand, große Wirkung.“

Achten Sie auf ihren Penis, rät der Experte

Der Gang zum Arzt ist indes nur der erste Schritt. „Das Ausstellen eines Rezepts führt in der Regel nicht zu einer Heilung und verhilft bei Weitem nicht jedem Mann zu einer Erektion“, erklärt der Experte. Potenzprobleme könnten auch ein Hinweis auf andere, schwerwiegende Erkrankungen sein. Da die Gefäße im Penis vom Durchmesser her die kleinsten im Körper sind (ein bis zwei Millimeter), bemerkt der Facharzt Gefäßverengungen beim Mann oft zuerst am Geschlechtsorgan. „Ich kann jedem Mann nur raten: Achten Sie auf Ihren Penis. Der Penis ist die Wünschelrute des Herzens.“

Wer nun glaubt, mit einer Potenzpille täglich topfit zu sein, irrt. „So einfach ist das nicht. Für guten Sex muss man trainieren“, rät Frank Sommer. Gesunde Ernährung, viel Bewegung und weniger Stress würden gegen Gefäßverengungen effektiv helfen und Potenzstörungen vorbeugen. Auch eine Paartherapie könne Hemmnisse aus dem Weg räumen.

2013 lief Pfizers Patent auf Sildenafil ab. Seitdem boomt der Markt mit Konkurrenzprodukten zu Viagra. In Apotheken kostet das Original – je nach Dosierung – rund 20 Euro pro Tablette, während verschreibungspflichtige Nachahmerpräparate (Generika) für vier bis fünf Euro zu haben sind.