Gerlinde Schroth, Stephanie Haschka und Andreas Beck (von links), stellen sich die Frage, in welche Richtung sie Volkshochschule weiterdenken wollen und müssen. Foto: Annegret Jacobs

Die Pandemie hat vieles verändert. Nach Corona einfach da weitermachen, wo man 2020 aufgehört hat, geht nicht. Unter anderem an der VHS in Leinfelden-Echterdingen macht man sich Gedanken dazu.

Leinfelden-Echterdingen - Heute ist der Tag für einen Neuanfang. Draußen weht der Wind schneidend über die Filderebene und treibt immer noch Wintermatsch vor sich her. Aber in den Räumen der VHS von Leinfelden-Echterdingen ist so etwas wie Aufbruch zu verspüren. Noch kein Frühling zwar, aber immerhin Vorfrühling. Denn an diesem Montag im Februar startet das neue Semester. Rund 500 Veranstaltungen und Kurse vom Sprachkurs über Malunterricht für Mangacomics bis zum Selbstcoaching wird es bis September 2022 geben. Das ist an sich nichts Besonderes. Jedes Jahr hat zwei Semester und die VHS von Leinfelden-Echterdingen gibt es immerhin seit 1978.

Aber, geht es nach Andreas Beck, Leiter dieser VHS, und seinen beiden Mitstreiterinnen, Gerlinde Schroth und Stephanie Haschka, dann soll dieses Sommersemester tatsächlich das erste Nach-Corona-Semester werden. Das Semester, in dem man in der Geschäftsstelle nach zwei Jahren des Betriebs unter Pandemiebedingungen nicht gefühlt alle zwei Wochen überlegen muss, was eine neue Coronaverordnung für eine Volkshochschule bedeutet. „Denn es gibt nicht die eine VHS-Coronaverordnung“, sagt Beck mit einem kleinen Seufzer und zählt auf: Manche Kurse finden in Innenräumen statt, andere draußen. Für Sport gelten andere Bedingungen als für ein Kunstangebot. In Sprachkursen gilt die Maskenpflicht, in prüfungsbezogenen Kursen beruflicher Bildung hingegen nicht. „Versuchen Sie das mal zu erklären“, sagt er.

Teilnehmerrückgang von bis zu 20 Prozent in manchen Kursen

Grundsätzlich gilt: Man habe als Volkshochschule Leinfelden-Echterdingen die zwei Jahre Pandemie überstanden, so Beck, und das auch ganz anständig. Gerlinde Schroth, zuständig für die Organisation der Deutsch- und Integrationskurse, ergänzt: „Trotz aller Schwierigkeiten haben etwa 80 Prozent der Deutschkurse weiterhin stattgefunden“, sagt sie. Zwar seien sie wegen der Hygieneauflagen mit weniger Teilnehmenden gelaufen, was mit Blick auf die Teilnehmerzahlen ein Minus von spürbar mehr als 20 Prozent bedeute. „Aber ich hatte einen weitaus größeren Einbruch erwartet.“ Viele Kurse hätten sich komplett in den digitalen Raum verlagert. Damit habe die Pandemie mit ihrem Digitalisierungsschub in dieser Hinsicht einen ungeahnten positiven Nebeneffekt gehabt, so Schroth: „Sowohl für die Teilnehmenden als auch für manche Dozenten. Da haben sich gestandene Dozenten hingesetzt und reingefuchst, wie man eine Online-Veranstaltung abhalten kann“, schildert sie.

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In den Fremdsprachenkursen, ein weiteres wichtiges Standbein jeder VHS, zeige sich die Lage in L.-E. komplexer. Hier reiche es vielfach nicht, einen Kurs einfach online weiterzuführen. „Sprache funktioniert über Beziehungen“, erklärt Bereichsleiterin Stephanie Haschka. In manchen Kursen sitzen die Teilnehmer bereits seit Jahren zusammen. „Wenn die Bindung zum Kursleiter stark ist, dann konnte das die Lockdowns und anderen Einschränkungen auffangen.“ Aber Teilnehmende, die sowieso schon länger überlegt hätten aufzuhören, hätten Corona vielfach zum Anlass für die Abmeldung genommen. „Manche sagen sich auch: Jetzt habe ich anderthalb Jahre nichts mehr gemacht, jetzt habe ich den Anschluss verloren.“

In welche Richtung gehen die Volkshochschulen?

VHS-Leiter Beck fasst zusammen: „Nach Corona ist Kaltakquise ein großes Thema für uns.“ Die Weiterbelegung von Kursen ist zurückgegangen. Doch für neue Kunden müsse man erst mal das Programm unter die Leute bekommen. Und auch hier hat die Pandemie Spuren hinterlassen. Denn die etablierten Vertriebswege für das Programmheft – also die Auslage im lokalen Handel, in Arztpraxen, bei Friseuren – funktionieren noch nicht wieder oder nicht mehr so wie früher. „Wir haben zur Zeit einfach wenig Orte in der Stadt, an denen wir auslegen können.“

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Doch Corona hin oder her: Andreas Beck und sein Team stellen sich ganz grundsätzlich die Frage, in welche Richtung sie Volkshochschule weiterdenken wollen und müssen. Da ist die Baustelle Kursgröße. „Kurse sind heute kleiner als früher. Das war schon vor Corona so“, beschreibt Beck. „Dass regelmäßig 15 oder 20 Leute zusammen kommen, um einen Sprach- oder einen Kunstkurs zu machen, das gibt es eigentlich nicht mehr.“ Eine weitere Frage, an der sich Volkshochschulen abarbeiten, ist diese: Wie kommt man besser an junge Erwachsene zwischen 18 bis 29 Jahren heran? Beck und sein Team setzen hier auf mehr Eventcharakter von Kursen: Stand-up-Paddeling auf dem Neckar etwa, oder ein Yoga-Wochenende im Thermenhotel. „Als Kommune am Rand von Stuttgart müssen wir darauf reagieren, dass es im Umkreis ein enormes Angebot an Freizeitmöglichkeiten gibt.“

Keine Wünschelrutenkurse, aber die Vielfalt ist dennoch wichtig

Sprachkurse, berufliche Bildung, Sport, Kunst, EDV und Computer: Die Volkshochschulen im Land bieten ein breites Spektrum von Möglichkeiten für außerschulisches Lernen. Das mag auf manche wie ein Gemischtwarenladen wirken, ist aber genauso im Leitbild der Volkshochschulen von Baden-Württemberg verankert: Vielfalt vor Ort. Vielfalt heiße jedoch nicht Beliebigkeit, so VHS-Leiter Andreas Beck. „Wir prüfen sehr genau, bevor wir einen Dozenten einstellen und einen Kurs ins Programm nehmen.“ So sei es etwa eine Daueraufgabe der Volkshochschulen, sauber zwischen Gesundheitskursen und Esoterik zu unterscheiden. „Wünschelrutengehen nehmen wir von vorneherein nicht ins Programm auf“, sagt Beck. Angebote wie Waldbaden hätten jedoch, wenn Programm und Dozent stimmten, durchaus ihre Berechtigung in einem VHS-Programm.