Der VfB Stuttgart trennt sich von Chefscout Ralf Becker. Foto: Pressefoto Baumann

Sportvorstand Robin Dutt ordnet den sportlichen Unterbau beim Bundesligisten VfB Stuttgart neu – die Zukunft von Rainer Adrion ist dabei noch unklar.

Stuttgart - Wie war das denn nun mit dem neuen Innenverteidiger vor dieser Saison? Die einen sagen so, die anderen sagen so. Dazwischen sitzen die Scouts – meistens zwischen allen Stühlen. Das seit Jahren andauernde Gezerfe hat nun ein Ende. Zwar hüllten sich beide Seiten am Dienstag noch in Schweigen, die Trennung zwischen Chefscout Ralf Becker (45) und dem VfB Stuttgart ist nach Recherchen unserer Zeitung aber beschlossene Sache – und wird spätestens Anfang Februar nach Ende der Wintertransferperiode offiziell vollzogen.

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So ganz ohne Probleme läuft die Scheidung allerdings nicht. Inzwischen kümmern sich Rechtsanwälte um ein gütliches Ende. Offenbar will sich der VfB auch vom langjährigen Scout Erwin Hadewicz trennen, der derzeit noch Urlaub in der Türkei macht. Die offizielle Version: Der Ex-Profi geht am Saisonende ohnedies in Rente. Hadewicz, beim VfB besser als „Balkan-Express“ bekannt, würde allerdings gern noch ein, zwei Jährchen dranhängen. Im Boot bleiben sollen Ben Manga, Herbert Maron und Markus Lösch. Manga sichtet für den VfB den Markt in den Niederlanden, in Belgien, Spanien und Portugal. Maron schaut sich in Skandinavien um. Lösch kümmert sich vor allem um den administrativen Bereich der Scouting-Abteilung. Noch unklar ist, ob Nachwuchsscout Elefterios Karastergios (U 14 bis U 16) am Ball bleiben darf. Alexander Schmidt, Ex-Trainer der Münchner Löwen und erst im Sommer zum Team der Talentspäher gestoßen, soll künftig wohl die erste Geige spielen und für effizienten Nachschub im Profikader sorgen. In enger Abstimmung mit Sportvorstand Robin Dutt und dessen rechter Hand – Joachim Cast.

Adrions Zukunft unklar

Unklar ist nach wie vor, ob Rainer Adrion, Sportlicher Leiter U 16 bis U 23, dem Verein erhalten bleibt. Sein Vertrag läuft am Saisonende aus. Angeblich kümmert er sich nicht intensiv genug um die Schnittstelle zwischen Nachwuchs und Profikader. Außerdem ist er verstrickt ins Kompetenzgerangel im Nachwuchsleistungszentrum, wo neben ihm Michael Gentner, Markus Rüdt und Oliver Otto zwar in unterschiedlichen Bereichen, aber gleichberechtigt agieren. Künftig soll es dort einen Chef geben. Falls Adrion nicht zum Zug kommen sollte, gilt sein Abschied als sicher.

So wie der von Ralf Becker. Das Tischtuch zwischen Dutt und dem Ex-Profi war schon seit längerem zerschnitten. Becker hätte im Sommer gern die Kaderplanung übernommen, Dutt lehnte ab. Der VfB-Sportvorstand hielt dem Chefscout im Gegenzug vor, dass er nur berate, statt konkrete Vorschläge zu unterbreiten. Dutt forderte präzisere Angaben über mögliche Transferkandidaten und verlangte eine intensivere Jagd nach Schnäppchen, vor allem im Ostblock und auf dem Balkan: „Die Scouts müssen liefern. Und die Bundesliga kenn’ ich selber.“

Die Scouting-Abteilung dagegen beklagte schon unter Fredi Bobic die mangelnde Kommunikation mit der Chefetage. „Was nützt unsere Arbeit, wenn die Bosse eh nicht auf uns hören?“, seufzten die Scouts öfter mal hinter vorgehaltener Hand. Vor Beginn dieser Saison hatten sie Emir Spahic (jetzt Hamburger SV), David Abraham (jetzt Eintracht Frankfurt) und Dominique Heintz (jetzt 1. FC Köln) vorgeschlagen. Alle drei Innenverteidiger konnten die sportliche Leitung offenbar nicht überzeugen. „Ich brauche keine erfahrenen Spieler, ich brauche welche, die machen, was ich sage“, soll Coach Alexander Zorniger geknurrt haben. Er könne notfalls auch mit zwei 18-Jährigen spielen. Am Ende flog Joachim Cast wenige Tage vor Transferschluss mit Becker nach Krasnodar, um in aller Eile noch Toni Sunjic zu verpflichten. So ganz ohne Neuzugang wollte man dann doch nicht in die Saison starten.

Becker schon länger umstritten

Wieder einmal zeigte sich ein bekanntes Übel: Die häufigen Trainerwechsel degradieren eine kontinuierliche Scouting-Arbeit zur Farce, weil jeder Coach unterschiedliche Typen bevorzugt. So betrachtet ist es nicht ganz fair, jeden Fehleinkauf oder jedes Versäumnis den Scouts in die Schuhe zu schieben. Becker hatte sich beispielsweise stets hartnäckig für den Verbleib von Joshua Kimmich beim VfB verkämpft. Heute spielt der für den FC Bayern.

Schon Horst Heldt legte als VfB-Manager eher wenig Wert auf den Rat seiner Forscher und Späher. Vor dem Transfer von Yildiray Bastürk jedenfalls hatten ihn seine Experten gewarnt. Meistertrainer Armin Veh setzte sich trotzdem durch. Der Schaden für den Verein: rund zehn Millionen Euro.

So oder so: Ralf Becker und Teile seines Teams sind im Verein seit längerer Zeit umstritten. Fredi Bobic hatte den gebürtigen Leonberger 2011 als Chefscout zum VfB geholt. Ein Jahr später übernahm er zusätzlich die Aufgaben von Marc Kienle als Chef des Nachwuchsbereichs. Kienle wechselte einigermaßen desillusioniert als A-JuniorenTrainer zum FC Bayern – auch deshalb, weil er beim VfB nie das Gefühl hatte, dass der Nachwuchs die ihm gebührende Wertschätzung genießt. Becker dagegen gelang es nicht, die Trainer im Junioren-Bereich von seinen Vorstellungen zu überzeugen. Mit U-23-Coach Jürgen Kramny, inzwischen Cheftrainer, lag er regelrecht über Kreuz. Dem früheren Bundesliga-Profi bei Bayer Leverkusen wird ein Mangel an Fingerspitzengefühl vorgehalten. Becker musste sich im Juli 2014 wieder auf den Job als Scout konzentrieren, Rainer Adrion kehrte nach seinem Ausflug zum Deutschen Fußball-Bund (U-21-Trainer) als Chef für den Nachwuchsbereich in den Verein zurück.

Neue Scouting-Abteilung kleiner

Nun macht sich Robin Dutt an die Neuordnung im Unterbau. Und einer wird das alles kritisch hinterfragen: Karl Allgöwer (59), ab sofort sportlicher Berater des Vereins. Die neue Scouting-Abteilung wird eher kleiner, dafür aber effizienter aufgestellt sein. Auch im Hochleistungssport hat die Digitalisierung vieles verändert. Mit Hilfe der Internet-Video-Plattform Wyscout etwa sind binnen Sekunden Daten, Fakten und Mitschnitte von Spielern aus aller Herren Ländern abrufbar. Heutzutage verschafft sich ein Club am ehesten dann Vorteile, wenn er früher als andere die Nischen im Markt entdeckt und bearbeitet. Und wenn er schneller als andere in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Talente zu entdecken ist das eine, sie in ihrer Entwicklung oft über Jahre zu begleiten und den Kontakt zu ihnen zu halten, ist mindestens ebenso wichtig.

Dutt sieht den VfB kurz- und mittelfristig ohnedies nicht als Verein, der auf dem Transfermarkt die ganz großen Räder drehen kann. Er will die Qualität des VfB als Entwicklungs- und Ausbildungsverein stärken. Auch deshalb hat das Scouting alter Prägung ausgedient.

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