Marc Oliver Kempf, Ozan Kabak und Benjamin Pavard (von links) sind seit Mitte Februar in der VfB-Innenverteidigung gesetztTimo Baumgartl ist beim VfB zurzeit nur Bankdrücker. Foto: Baumann

Benjamin Pavard, Marc Oliver Kempf und Ozan Kabak bilden seit einigen Wochen eine viel gelobte Innenverteidigung. Doch warum ist die Zahl der Gegentreffer beim VfB Stuttgart trotzdem weiter so hoch?

Stuttgart - Einen Ball drosch er mit voller Wucht gegen die Seitenbande, einen anderen weit weg. Der Frust schoss in dem Moment aus Timo Baumgartl. Er ärgerte sich sicher darüber, dass sein Team im Abschlussspiel beim Reservistentraining des VfB Stuttgart am Montag nicht gut ausgesehen hatte. Und es schwang freilich auch Unmut über seine eigene Situation mit. Lange saß er danach noch nachdenklich auf einer Sprudelkiste mitten auf dem Platz, während seine Teamkollegen schon von dannen gezogen waren.

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Baumgartl, der selbst nicht über seine Lage sprechen möchte, macht schwierige Zeiten durch. Der stark abstiegsbedrohte VfB spielt seit Wochen mit drei Innenverteidigern, doch der Kapitän der deutschen U-21-Nationalmannschaft ist zurzeit in Stuttgart nur vierte Wahl. Weltmeister Benjamin Pavard, Marc Oliver Kempf und Ozan Kabak bilden das Trio im Abwehrzentrum. Diese Formation hat sich gefunden, während Baumgartl wegen einer erneuten Gehirnerschütterung infolge eines Zusammenpralls im Training von Ende Januar bis Anfang März ausfiel. Zuletzt stand der 23-Jährige wieder im Spieltagskader und verdrängte Holger Badstuber auf die Tribüne, zum Einsatz gekommen ist er seit seiner Rückmeldung aber nur in den U-21-Länderspielen gegen Frankreich (2:2) und England (2:1) – jeweils über 90 Minuten.

Beim VfB muss Baumgartl sich dagegen hinten anstellen. An dem, was Trainer Markus Weinzierl schon vor der Partie des Tabellendrittletzten am Sonntag bei Eintracht Frankfurt (0:3) sagte, hat sich vor dem Kellerduell mit dem Tabellenvorletzten 1. FC Nürnberg am Samstag (15.30 Uhr/Liveticker) wohl kaum etwas geändert – er schätzt das VfB-Eigengewächs als guten Spieler ein, sieht aber in der Innenverteidigung keinen Grund zum Wechseln: „Die lange Ausfallzeit hat ihn einen Tick zurückgeworfen, die anderen haben es gut gemacht.“

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Pavard (23) agiert als Abwehrchef neuerdings wieder weltmeisterlicher als in den Spielen zuvor als rechter Verteidiger. Kempf (24) ist als Linksfuß links neben ihm in der Defensivreihe gesetzt. Und der türkische VfB-Rekordzugang Kabak (19), der im Winter für elf Millionen Euro kam, hat sich zuletzt rechts neben dem Franzosen in den Vordergrund spielen können. Um dieses Trio, das bei Standardsituationen per Kopf drei der letzten sieben Stuttgarter Tore erzielte, beneidet so mancher andere Bundesligist den VfB.

Die Innenverteidigung ist das Stuttgarter Prunkstück – oder doch nur das vermeintliche Prunkstück?

Der VfB blieb in diesem Jahr noch nicht einmal ohne Gegentor, nur ein Sieg gelang in der Rückrunde. In den sechs Begegnungen, in denen das Trio Seite an Seite in der Innenverteidigung auflief, mussten die Stuttgarter dreimal einen Treffer und dreimal drei Treffer hinnehmen – macht zwei Gegentore im Durchschnitt. Fünf Punkte gab es dabei zu verzeichnen, zu wenig, um den Relegationsplatz zu verlassen.

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Hin und wieder fehlte sicher das Match-Glück, doch insgesamt kann das keine Erklärung sein. Der VfB hat zwar mehr defensive Stabilität entwickelt, die Zahl der Gegentore von einem eklatant hohen Niveau (drei pro Partie in den ersten vier Auftritten nach der Winterpause) aber nur auf ein immer noch zu hohes Niveau herunterschrauben können, trotz Fünferabwehrkette und bisweilen drei defensiven Mittelfeldspielern davor. Insgesamt stehen so 59 Gegentreffer nach 27 Spielen zu Buche, der zweitschlechteste Wert in der Bundesliga. „In der letzten Saison haben wir vorne das Tor gemacht und dann hinten dicht gemacht. Jetzt ist es ein ganz anderes Spiel. Wir machen das Tor nicht und sind dadurch automatisch offener“, sagt Pavard.

Wenn der Gegner das Spiel schnell macht, bekommt der VfB Schwierigkeiten, das ist ein großes Manko. Zudem fehlt zu oft die offensive Entlastung. Mit Ausnahme des 5:1-Triumphs im Krisengipfel gegen Hannover 96 – die Schießbude der Liga mit 62 Gegentoren – gibt es in den Begegnungen zu selten Phasen zu verzeichnen, in denen die Stuttgarter das Geschehen kontrollieren. Stattdessen sind sie ständig am Verteidigen, ständig am Reagieren. Gerade gegen gute Gegner tun sich aufgrund dieses Dauerstresses mit zunehmender Spielzeit Lücken auf.

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Der VfB hält über weite Strecken mit, macht sich aber mit Fehlern oder ganzen Fehlerketten selbst das Leben schwer, auch Pavard, Kempf und Kabak sind in diese Situationen oft involviert. Mittelfeldmann Steven Zuber nimmt die drei Abwehrspieler in hinterster Reihe jedoch in Schutz: „Das Verteidigen fängt vorne an, die ganze Mannschaft ist da verantwortlich.“

Das Spiel in der Hinrunde gegen den nächsten Gegner 1. FC Nürnberg (2:0) war eine von nur drei Saisonpartien, in denen der VfB ohne Gegentreffer blieb. Timo Baumgartl traf zur Führung, es war sein erstes Bundesliga-Tor – eine schöne Erinnerung in schwierigen Zeiten.

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