Trainer Markus Weinzierl (li.) ist Geschichte beim VfB Stuttgart, Sportvorstand Thomas Hitzlsperger (re.) setzt nun auf Nico Willig? Foto: dpa

Der VfB Stuttgart versucht mit dem zweiten Trainerwechsel der Saison zu retten, was noch zu retten ist. Dass er dabei auf den bisherigen Juniorentrainer Nico Willig setzt, ist ein extrem riskantes Spiel, kommentiert unser Autor Dirk Preiß – den noch eine andere Frage beschäftigt: Wer findet endlich den Fehler im VfB-System?

Stuttgart - Dass der VfB Stuttgart nach dem desaströsen Auftritt seines Team beim 0:6 gegen den FC Augsburg nicht mehr an Markus Weinzierl als Cheftrainer festhält, war am Samstagabend keine Überraschung mehr. Zu desolat präsentierte sich die leblose Truppe im Schlüsselspiel gegen einen direkten Konkurrenten. Zu katastrophal ist die VfB-Bilanz des Straubingers, der seit Oktober 2018 die Verantwortung trug. Die eigentliche Überraschung ist die Nachfolgeregelung. Der VfB, dem das Wasser bis zum Halse steht, setzt auf Nico Willig.

Der bisherige Coach der A-Junioren also soll bis Saisonende, also auch in einer möglichen Relegation, das Leck geschlagene Schiff seetüchtig halten und in den sicheren Hafen geleiten. Mit dieser Entscheidung, das ist klar, geht Thomas Hitzlsperger, der Sportvorstand des VfB, volles Risiko.

Der VfB hat viel zu verlieren

Zwar kann ein Team kaum schlimmer auftreten, wie der VfB am Samstag in Augsburg, der Club hat aber trotz der Katastrophensaison noch was zu verlieren: den Relegationsplatz 16. Es wird spannend zu sehen sein, wie der auf Topniveau unerfahrene Coach diese Prüfung meistert, durch die erst Tayfun Korkut und dann Markus Weinzierl gefallen sind.

Der Bayer hatte vor der Partie beim FCA ein letztes, lautstarkes und öffentlichkeitswirksames Aufbäumen geboten, hatte seinen Kropf gelehrt, Respekt eingefordert und darauf hingewiesen, dass er, der Chefcoach, nicht alleine schuld sein könne an der Misere des VfB Stuttgart. Ist er auch nicht. Trotzdem ist Markus Weinzierl als Trainer der Weiß-Roten ab sofort Geschichte.

Lesen Sie hier: Unsere Einzelkritik zum Spiel in Augsburg

Es ist eine traurige in den vergangenen Jahren mit wenigen Höhepunkten. Und so gilt für den 44-jährigen Straubinger einerseits: Er hat es seit Oktober 2018 nicht geschafft, diese Mannschaft des VfB nachhaltig nach vorne zu entwickeln. Hat eine unterirdische Punktebilanz (16 Punkte in 23 Spielen, lediglich sieben in der Rückrunde) – und dass der Verein nun noch einmal einen letzten Versuch unternimmt, zumindest den direkten Abstieg zu verhindern, ist beim Blick auf Weinzierls Statistik und die Brisanz der Lage durchaus nachzuvollziehen. Es geht schließlich um alles. Mal wieder.

Seit 2007: Vier Präsidenten, sechs Sportvorstände, 16 Trainer

Weil das so ist, steht aber mehr noch als der Trainer das Konstrukt VfB Stuttgart infrage. Seit Jahren scheitern Präsidenten (es amtiert der vierte seit dem Titelgewinn 2007), Sportvorstände (der sechste seit 2007 ist am Ruder) und Trainer (nun 16 verschiedene seit 2007). Seit Jahren werden Spieler in Stuttgart eher schwächer denn besser. Seit Jahren ist die dauerhafte Rückkehr ins obere Drittel der Bundesligatabelle mehr Traum denn Realität. Jegliche Charaktere und Typen waren auf unterschiedlichsten Positionen darunter – doch den Fehler im System hat noch immer keiner gefunden. Auch nicht der aktuelle Clubchef Wolfgang Dietrich, der sich bei seinem Amtsantritt 2016 auf die Fahnen schrieb, es besser zu machen als seine Vorgänger. Wo also liegt der Fehler im System des VfB, der aktuell ein Bild des Jammers abgibt.

Finanziell zwar gut aufgestellt und mit der Aussicht auf weitere Geldströme im kommenden Sommer – etwa durch den Verkauf von Benjamin Pavard. In Sven Mislintat ist ein erfahrener Kaderplaner verpflichtet. Auch tummeln sich einige entwicklungsfähige Talente im Kader. Dessen Zusammenstellung für die laufende Saison aber liegt eine krasse Fehleinschätzung von Ex-Sportchef Michael Reschke zugrunde. Die Folge: Selbstzufriedenheit zum Saisonstart, überbezahlte Altstars, teils viel zu langfristige Verträge, eigenwillige und disziplinlose Jungprofis sowie ein Team, das zwar ordentlich verteidigt, aber in der Offensive so gefährlich ist wie ein Schwarm Friedenstauben. Dazu kamen in den vergangenen Monaten: ein Streit im Aufsichtsrat, nachtretende Ex-Trainer, öffentlich kritisierende Spieler, polternde Club-Legenden. All dies zusammen ergibt einen giftigen Mix – der nun sportlich alles infrage stellt: Es droht der zweite Abstieg innerhalb von nur drei Jahren.

Weitere Aufräumarbeiten nötig

Um zu retten, was noch zu retten ist – also die Teilnahme an der Relegation – soll es nun also noch einmal ein neuer Trainer richten. Thomas Hitzlsperger hatte Markus Weinzierl lange gestärkt und gestützt, hatte eine Jobgarantie bis Saisonende ausgestellt, aufgrund des Auftritts der Mannschaft in Augsburg aber musste sich der seit Februar amtierende Sportvorstand nun korrigieren. Als Gesicht der Hoffnung angetreten, kommt auch Hitzlsperger schon nach wenigen Wochen im VfB-Amt auf zwei Entlassungen (auch Marc Kienle musste als Trainer des VfB II gehen). Das spricht nicht zwingend gegen den neuen Sportchef – vielmehr dafür, dass der VfB Stuttgart noch eine ganze Menge Aufräumarbeiten vor sich hat. Ganz unabhängig vom Ausgang dieser Saison.