Die naturfarbenen Widderkaninchen erholen sich zur Zeit in verschiedenen Tierheimen. Bei vielen sind die Ohren angefressen. Foto: Horst Rudel

Die Exkremente lagen kniehoch, die meisten der Tiere hatten noch nie das Tageslicht gesehen. Die Mitarbeiter des Veterinäramtes und der Tierrettung Mittlerer Neckar stehen zur Zeit einem krassen Fall gegenüber.

Esslingen - Einer der schlimmsten Fälle von Tierverwahrlosung in den letzen Jahren hält zur Zeit das Esslinger Veterinäramt auf Trab. Etwa 100 Kaninchen wurden am vergangenen Donnerstag aus einem Haus in Esslingen in einem mehr als sechsstündigen Einsatz von der Tierrettung Mittlerer Neckar und dem Veterinäramt geborgen.

Die Helfer berichten von einem unbeschreiblichen Gestank, der sich in dem Keller entwickelt habe, in dem die Tiere sich selbst überlassen waren. Die Exkremente waren kniehoch, viele Tiere waren krank und hatten noch nie das Tageslicht gesehen, berichtet Manuela Schlattner, die stellvertretende Leiterin des Esslinger Tierheims. Die Kaninchen litten unter Bisswunden und Augenentzündungen, manche Tiere werden wohl einseitig blind bleiben, schätzt die Tierschützerin. Die Enge hatte die Tiere auch zum Kannibalismus getrieben, manche Kaninchen hatten abgefressene Ohren.

Handwerker entdeckten die Kaninchen

Entdeckt hatten die Kaninchen Handwerker, die in dem von außen unscheinbaren Haus gearbeitet hatten. Sie verständigten das Veterinäramt, das sich sofort der Sache annahm. Der Besitzer der Tiere sei mit der Haltung völlig überfordert gewesen, berichten die Retter. Er war wohl auch der Meinung gewesen, den Tieren gehe es gut, und es seien höchstens 30 Tiere.

Tatsächlich waren es aber 100 Kaninchen, die aus dem Keller geborgen werden mussten. Als „sehr wertvoll“ bezeichnet Christian Marquardt, der Chef des Esslinger Veterinäramtes, die Hilfe der Tierrettung Mittlerer Neckar. Jürgen Völker, der Chef der Tierrettung, besorgte sich von überall her Katzentransportboxen, in die man jeweils vier Tiere setzen konnte. Weil seine zwei Rettungswagen nicht ausreichten, nahm er zusätzlich einen Pferdeanhänger mit. In etwa zwei Stunden hatten die sieben Helfer die Kaninchen von Hand eingefangen. Dennoch arbeiteten Jürgen Völker und Christian Marquardt bis spät in den Abend hinein, um so viele Kaninchen wie möglich zu untersuchen und zu behandeln. Weil kein Tierheim dafür ausgelegt ist, derart viele Tiere aufzunehmen, wurden sie auf drei Standorte verteilt, der Pflegestation der Tierrettung, sowie den Tierheimen Esslingen und Filderstadt.

Noch immer ist das Team um Christian Marquardt dabei, die Tiere zu versorgen. Zur Zeit erholen sie sich, sagt er, erste Interessenten für die Kaninchen, allesamt naturfarbene Widderkaninchen mit Schlappohren, seien auch schon da. Noch etwa vier Wochen werden die Kaninchen in den Heimen bleiben, bis die Rammler kastriert sind und abgeklärt ist, ob die Weibchen trächtig sind. Dann freuen sich die Tierheime über liebevolle Hände, die Widderkaninchen in Pflege nehmen möchten. Beim Landratsamt Esslingen gibt es Broschüren, die erklären, wie man Kaninchen richtig hält. Denn die Tiere sind in Pflege und Haltung nicht ganz so anspruchslos, wie viele Menschen glauben.

Jede Woche gehen dutzende von Anzeigen ein

Jede Woche gehen dutzende Anzeigen beim Veterinäramt ein, das allein für diese Fälle zuständig ist, nur in Ausnahmefällen kommt die Polizei mit vor Ort. In etwa 80 Prozent aller Fälle sei die Anzeige unbegründet, berichtet Christian Marquardt. In den verbleibenden Fällen greift das Veterinäramt ein und unterstützt die Halter, nur als allerletztes Mittel wird das Tier weggenommen.

Es gibt einen Übergriff zu diesem Verhalten, das als „animal hoarding“ bezeichnet wird und wohl eine psychische Störung darstellt. Solche Menschen glaubten, nur bei ihnen gehe es den Tieren gut, deswegen würden sie immer mehr davon in ihrem Haus ansammeln, bis sie mit der Pflege überfordert seien, berichtet Manuela Schlattner. Ob nun eine Überforderung oder eine Psychose vorlag, auf alle Fälle war es eine Straftat. Deswegen erwartet den Kaninchenhalter eine Strafanzeige und ein Tierhalteverbot, berichtet das Landratsamt. Die Strafen sind empfindlich und können bis zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen gehen.