Ein Bild mit Seltenheitswert: Fast pünktlich verlässt Sven Detzer den Zug in Süßen. Foto: Horst Rudel

Das Verbindungschaos auf der Filstalstrecke sollte sich bessern – wird aber immer abstruser. Ein Paar, das täglich von Süßen nach Stuttgart zur Arbeit pendelt, erzählt von seinen Erlebnissen.

Kreis Göppingen - Dass Sven Detzer zum Gesprächstermin am Süßener Bahnhof wirklich pünktlich kommen würde, ist nicht zu erwarten gewesen. Dass er nur sechs Minuten Verspätung hat, ist hingegen überraschend. Fahrplanmäßig müsste die Regionalbahn 19255 aus Stuttgart um 17.15 Uhr ankommen. Es wird aber gerne auch mal halb sechs, dreiviertel sechs oder – wenn der Zug ganz ausfällt – eben noch später.

Seit mehr als zehn Jahren pendeln Sven und Sylvia Detzer zur Arbeit nach Stuttgart. Das Ehepaar lebt im Donzdorfer Stadtteil Reichenbach, fährt mit dem Auto auf den Park-and-ride-Platz nach Süßen – und steigt dann in den Zug. „Das ist jedoch zunehmend schwieriger geworden, und zwar nicht nur, weil immer mehr Türen ihren Geist aufgeben“, ergeht sich der IT-Experte nur kurz in Ironie. Das Lachen und Achselzucken über die Unzulänglichkeiten der Deutschen Bahn ist ihm längst vergangen. „Seit der Fahrplanumstellung im Dezember ist es eine echte Katastrophe“, sagt er.

Detzer hat sich die Mühe gemacht und Buch geführt. Binnen sechs Wochen, die Weihnachtszeit eingerechnet, sind alleine von den Verbindungen, die das Ehepaar nutzen wollte, mehr als 20 ganz ausgefallen. Die Verspätungen summierten sich auf siebeneinhalb Stunden: alles was unter 15 Minuten lag, nicht mitgerechnet. Dem 53-Jährigen ist zwischenzeitlich der Kragen geplatzt. Seit dem vergangenen November steht er in regem schriftlichem Austausch mit der DB Regio AG und mit dem grünen Landesverkehrsminister Winfried Hermann.

Gleitzeit ist für Pendler ein Muss

Wobei das Wort Austausch nicht so ganz richtig ist. Denn die Antworten, die Detzer bekommt, wenn er denn welche bekommt, bestehen aus einem Sortiment von Textbausteinen, mit denen Besserung gelobt wird und Lösungen versprochen werden. „Doch es verbessert sich rein gar nichts“, schimpft er und hat gezwungenermaßen eigene Strategien entwickelt. Sein erster Blick am frühen Morgen geht aufs Handy. Die Bahn-App gibt dann darüber Auskunft, ob noch gemütlich gefrühstückt werden kann oder ob der ins Auge gefasste 6-Uhr-Interregio ausfällt. „Je nachdem müssen wir dann früher los, um bereits um 5.41 Uhr zu fahren oder zu warten, bis irgendwann etwas fährt.“ Zudem hat sich der Pendler angewöhnt, vor allem wenn er am Abend von der Arbeit nach Hause möchte, nur noch auf die Züge zu achten, die bereits am frühen Nachmittag Verspätungen anhäufen. „Wenn da etwas aus dem Ruder läuft, muss ich gar nicht erst darauf hoffen, pünktlich zu Hause zu sein, weil es wegen Überholungen von schnelleren Zügen auf der Strecke im Filstal zu zusätzlichen Wartezeiten für den Regionalverkehr kommt.“ – „Inzwischen richtet sich unser Leben nach der Bahn“, fasst Sylvia Detzer die Einlassungen ihres Gatten zusammen.

Dabei räumen die beiden unisono ein, „sogar noch in einer besseren Situation zu sein als viele andere Pendler“. Sie hätten Gleitzeit und seien daher flexibel, erklären sie. „Aber wie ist das bei Schichtarbeitern, bei Leuten, die in einem Laden arbeiten und an Öffnungszeiten gebunden sind oder erst bei Kindern, die in die Schule müssen und stattdessen auf kalten Bahnhöfen herumstehen?“, fragt sich die 51-jährige SAP-Personalberaterin.

Mühsames Ringen um Erstattungen

Deshalb möchte sich ihr Mann, der inzwischen zu einem echten Bahn- und Fahrplanexperten geworden ist, nicht noch länger vertrösten lassen. Auf die lapidaren Worte vonseiten der Bahn – „Wir wollen unseren Kunden zuverlässigen und guten Service liefern. Das haben wir in den vergangenen Wochen oft nicht getan, wofür wir uns entschuldigen möchten“ – gebe er rein gar nichts mehr. „Und auch Herrn Hermann werde ich fortan nur noch an seinen Taten und nicht mehr an seinen Ankündigungen messen“, betont Sven Detzer.

Dass vonseiten des Verkehrsministeriums mit Gerhard Schnaitmann jetzt ein Sonderbeauftragter eingesetzt worden ist, der das Bahnchaos im Südwesten beseitigen soll, sehe er dabei erst einmal positiv. „Doch der Mann wird wirklich jede Form der Unterstützung brauchen“, fährt Detzer fort und verweist zunächst auf die Online-Unterschriftenaktion „Pünktliche Züge“ auf der Homepage des Verkehrsclubs Deutschland. Aktuell laufe darüber hinaus die Meldekampagne des SPD-Landtagsabgeordneten Sascha Binder speziell für die Filstalstrecke.

Bei Appellen will Detzer es jedoch nicht bewenden lassen, denn längst stünden nicht nur die Pünktlichkeit und die Sauberkeit, sondern auch die Sicherheit zur Disposition. „Da werden, weil technisch auf Verschleiß gefahren wurde und nix anderes mehr da ist, plötzlich Fahrradtransportwaggons eingesetzt, in denen dann die Menschen wie die Hühner auf den Haltestangen sitzen müssen. Das ist schlicht brandgefährlich, wenn plötzlich gebremst wird“, stellt er klar.

Was Sven Detzer obendrein gegen den Strich geht, ist das mühsame Ringen um Erstattungen. Sein Jahresabonnement kostet ihn fast 2000 Euro. Eine Entschädigung von fünf Euro pro Fahrt bekommt er aber nur, wenn sein Zug mindestens eine Stunde Verspätung hat, es keine „zumutbare“ Alternative gibt und er ein zweiseitiges Antragsformular korrekt ausfüllt. „Während wir also um die Anerkennung unserer Reklamationen betteln müssen, geht das in anderen Ländern automatisch, weil die Betreiber ja eh wissen, welche Züge betroffen sind“, lautet sein Vorschlag. Bis dahin gelte: Beschweren, beschweren, beschweren.

Ministerium macht Druck

Im Verkehrsministerium will man, wie Winfried Hermann sagt, „weil es nicht überall besser geworden ist, der Bahn jetzt Fristen setzen und wenn diese nicht eingehalten werden, zu Maßnahmen greifen“. Sven Detzer versteht dieses Zögern nicht: „Wir wollen doch gar nichts Besonderes, sondern nur, dass die Bahn ihren Dienstleistungsvertrag erfüllt, den sie mit uns geschlossen hat.“ Und Sylvia Detzer hat auch noch einen Wink in Richtung Politik parat: „Es ist unter diesen Umständen doch völlig unverantwortlich, den Leuten zu empfehlen, sie sollen auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen.“

Apropos umsteigen: Draußen auf Gleis eins steht seit nunmehr 30 Minuten die Regionalbahn 19255, weil zahllose andere Züge vorbeigelassen werden mussten. Jochen Münch, der in Süßen arbeitet und im bayerischen Syrgenstein wohnt, ist stinksauer. „Es ist jeden Tag das gleiche Theater. Ich verpasse in Geislingen meinen Anschlusszug und schaffe es deshalb nicht, in Ulm rechtzeitig umzusteigen.“ Statt um 19 Uhr sei er daher erst um 20 Uhr zu Hause.

Offenbar wird nicht nur das Leben der Detzers durch die Bahn bestimmt.