Die Familien der 43 Studenten warten seit fünf Jahren auf die Aufklärung des Falles. Foto: picture alliance/dpa/Sashenka Gutierrez

Nach dem Verschwinden der 43 Studenten ist noch immer kein Täter verurteilt.

Mexiko City - Erst war es der Geruch, dann die Fliegenschwärme. Anwohner dachten, ein Tier sei in dem Brunnen auf einem verlassenen Gelände nahe der Millionenstadt Guadalajara verendet. Sie riefen die Polizei. Die aber fand Mitte September auf der Brache keinen Kadaver, sondern 138 Müllsäcke mit menschlichen Überresten. Während die Gerichtsmediziner nun mühevoll versuchen, die Leichenteile zu ordnen, vermuten Experten, dass es sich um das größte Massengrab handelt, das jemals in Jalisco gefunden wurde, dessen Hauptstadt Guadalajara ist.

Der makabre Fund richtet den Blick auf eine der dunkelsten Seiten Mexikos. Die Verschwundenen, Vermissten, Entführten – Menschen, die plötzlich verschwunden sind und nie wieder auftauchen. Oft sind es Zivilisten, die im Drogenkrieg ins Kreuzfeuer der Kartelle geraten. Oder es sind Opfer staatlicher Gewalt. Im Krieg gegen die Kartelle haben Polizei und Militär systematisch Verdächtige oder zu Unrecht Beschuldigte getötet und die Leichen verscharrt.

Das Verschwinden der Studenten war ein Wendepunkt

So könnte es auch im Fall der 43 Studenten von Ayotzinapa gewesen sein, einem Verbrechen, das sich zum fünften Mal jährt, aber bis heute nicht aufgeklärt ist. Das Verschwinden der Lehramtsstudenten in der Stadt Iguala am Abend des 26. September 2014 sei ein Wendepunkt gewesen, sagt der Schriftsteller Antonio Ortuño. „Der Fall hat das Verschwindenlassen, einen besonders brutalen Aspekt der Hypergewalt in Mexiko, offengelegt“, sagt Ortuño, der sich in seinen Büchern mit der Gewalt in seinem Land beschäftigt. Seit fünf Jahren warten die Familien der 43 jungen Männer, die in jener Nacht vermutlich von Kriminellen in Zusammenarbeit mit Polizei und Militär verschleppt wurden, auf einen Hinweis auf den Verbleib ihrer Vermissten.

Seit Mexikos neuer linker Präsident Andrés Manuel López Obrador an der Macht ist, hat sich der Umgang mit der Gewalttat geändert. Wo die Vorgängerregierung zynisch war und den Eltern empfahl, über den Verlust ihrer Kinder „hinwegzukommen“, ist López Obrador solidarisch und trifft sich mit den Eltern. Er schuf eine Wahrheitskommission, benannte einen Sonderstaatsanwalt und versprach, eine neue „Untersuchung vom Nullpunkt“. Aber die Ergebnisse fehlen nach wie vor. Niemand ist verurteilt, es gibt nicht einen einzigen Angeklagten. Cristina Bautista, Mutter von Benjamín Ascención, einem der Verschwundenen, fordert das endlich ein. „Die neue Regierung ist acht Monate im Amt, und wir haben nichts Greifbares, sondern sehen, wie immer mehr Verdächtige aus dem Gefängnis kommen“, sagt Bautista. 77 der 142 Angeschuldigten, darunter Hauptverdächtige, wurden wegen unter Folter erpresster Geständnisse oder erwiesener Unschuld auf freien Fuß gesetzt.

Die Ermittlungen waren überschattet von Lügen und Vertuschung

Die Ermittlungen waren überschattet von Lügen und Vertuschung seitens der Justiz und der Politik. Wenige Wochen nach dem Verbrechen präsentierte der damalige Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam, das, was er „historische Wahrheit“ nannte. Demnach wurden die 43 Studenten von einem kleinen Drogenkartell verschleppt und getötet. Anschließend seien die Leichen auf einer Müllkippe verbrannt worden. Diese Version ist später durch eine internationale Expertenkommission zerpflückt worden. Amnesty International bezeichnete sie als „historische Lüge“, die dazu diente, die Komplizenschaft des Staates oder der Militärs zu vertuschen oder den Fall schnell zu den Akten zu legen. Das Verbrechen von Ayotzinapa löste in der ganzen Welt Entsetzen aus.

40 000 Menschen gelten in Mexiko nach offiziellen Zahlen als vermisst. „Ganz Mexiko hat sich in ein enormes Massengrab verwandelt“, sagte der für Menschenrechte zuständige Vize-Innenminister Alejandro Encinas. Die Eltern der 43 Studenten wissen das schon seit fünf Jahren.