Die damals 14-jährige Georgine stieg 2006 aus einem Bus in Berlin-Moabit aus, dann verlor sich ihre Spur. Foto: dpa

Sie ist bis heute verschwunden – doch nach zwölf Jahren hat die Polizei einen Verdächtigen im Fall der vermissten Schülerin Georgine festgenommen.

Berlin - Zwölf Jahre lang lebten die Angehörigen in Angst und Ungewissheit. Zwölf Jahre ermittelten und suchten Dutzende Polizisten. Nun tritt Trauer an die Stelle der Unsicherheit: Die seit 2006 vermisste Berliner Schülerin Georgine Krüger ist nach aktuellen Erkenntnissen der Polizei tot. Ein dringend verdächtiger Mann wurde am Dienstag als mutmaßlicher Mörder des 14-jährigen Mädchens festgenommen. Er wohnte in der gleichen Straße wie sein Opfer.

Am 25. September 2006 kam Georgine Krüger mittags von der Schule und stieg in Berlin-Moabit aus einem Bus, 200 Meter von ihrer Wohnung entfernt. Sie wollte nach Hause, wo ihre Großmutter mit dem Mittagessen wartete. Zeugen sahen sie zum letzten Mal in der Öffentlichkeit. Danach verschwand sie spurlos - als ob sie sich in Luft aufgelöst hätte, wie es bei der Polizei einmal hieß. Ihre Großmutter rief noch auf dem Handy an, das zwei Minuten später abgeschaltet wurde.

In der Nähe der Bushaltestelle soll der Täter sie aus sexuellen Motiven abgefangen und in seinen Keller in der Nähe gelockt und ermordet haben, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Wie das Mädchen getötet wurde und was mit ihrer Leiche geschah, war zunächst noch nicht bekannt.

Rätselhaftes Verschwinden von Georgine Krüger

Das rätselhafte Verschwinden von Georgine Krüger war viele Jahre lang einer der bekanntesten Vermisstenfälle in Deutschland. In den Tagen und Wochen nach dem 25. September suchte die Polizei intensiv nach ihr. Lautsprecherwagen fahren durch die Stendaler Straße zwischen der Bushaltestelle und der Wohnung. Polizisten durchkämmen 272 Gebäude mitsamt Kellern und Dachgeschossen und befragen sämtliche Bewohner. Zeitungen und das Fernsehen veröffentlichen Aufrufe, Georgines Mutter bittet in Interviews um Unterstützung, seriöse und weniger seriöse Zeugen melden sich.

2009 setzt die Polizei spezielle Suchhunde ein. Sie führen die Ermittler nach Brandenburg nördlich von Berlin. Auch dort wird alles durchsucht. Trotz der vielen Hinweise gibt es keine neuen Ergebnisse. Bei der Kriminalpolizei hat man wenig Hoffnung, das Mädchen noch lebend zu finden. „Wir gehen eher von einem Mordfall aus“, hieß es schon vor Jahren. Ein Kommissar bleibt immer an dem Fall dran.

2011 wird ein Mann gefasst, der eine 17-jährige Jugendliche in seinen Keller gelockt und missbraucht hat. Tatort: die Stendaler Straße, in der Georgine Krüger wohnte. 2012 wird der Mann wegen sexueller Nötigung verurteilt. Möglicherweise stößt die Kripo in diesem Zusammenhang auf ihn und fasst Verdacht. Das Handy des Mannes war zum Zeitpunkt des Verschwindens von Georgine nicht weit von ihrem Telefon eingeloggt. 2006 hatte die Polizei ihn als Anwohner befragt.

Anonymer Hinweis auf mögliches Grab des Mädchens

Es folgen „aufwendige Ermittlungen“, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, sagte. Die Polizei überwacht die Telefon- und Internetverbindungen des deutsch-türkischen Mannes. 2017 seien „weitere Verdachtsmomente“ dazu gekommen. „Er war in besonders auffälligen Maße an minderjährigen Mädchen interessiert.“ Die Kriminalpolizei setzt einen sogenannten verdeckten Ermittler ein. Der sucht unauffällig Kontakt zu dem Verdächtigen und sammelt in Gesprächen weitere Informationen, die jetzt als Indizien eine Rolle spielen.

Am 31. März dieses Jahres meldet sich ein anonymer Anrufer bei der Polizei-Notrufnummer 110. Es ist der 225. Hinweis. Der Mann nennt erst den Namen des vermissten Mädchens und sagt dann: „Da sind Koordinaten, da ist etwas, was Sie, glaube ich, interessieren könnte. Ich habe es nicht getan, aber dort finden sie sie auf, das ist der Brieselanger Wald, das sind die Koordinaten, die exakten Koordinaten von dem Grab.“ Der Mann gibt einen genauen Längen- und Breitengrad in dem Waldstück westlich von Berlin an.

Die Polizei sperrt ein rund 5000 Quadratmeter großes Gelände ab, lockert den Boden auf, um Gerüche freizusetzen, schickt Spürhunde los und lässt eine Drohne aufsteigen - ohne erkennbaren Erfolg. Ende August veröffentlicht die Polizei die beiden Mitschnitte von den Anrufen des Mannes. Welche Rolle er spielte, ist unklar. Der Täter ist er laut Polizei nicht.

Aktenzeichen XY... ungelöst“ befasst sich mit dem Fall

Im Oktober befasst sich eine Spezial-Ausgabe des Fernseh-Magazins „Aktenzeichen XY... ungelöst“ mit dem Fall. Georgines Mutter spricht über ihre Tochter. Ein Hauptkommissar schildert zahlreiche Details. Erneut gibt es Hinweise für die Polizei, die zu diesem Zeitpunkt schon viel belastendes Material gesammelt hat.

Nach der Festnahme am Dienstag räumt die Staatsanwaltschaft ein, dass die Leiche von Georgine noch nicht gefunden worden sei. „Und es ist unklar, ob sie jemals gefunden wird.“ Ein Mordprozess ohne Leiche ist schwierig, besonders wenn der Angeklagte nicht gesteht. Aber der Sprecher der Staatsanwaltschaft gibt sich optimistisch: „Die Beweislage ist nicht schlecht, es ist ein riesiger Erfolg.“