Der Stein des Anstoßes: Dieser Blitzer und sein Zwilling auf der Gegenseite haben an der B27 bei Walddorfhäslach in fünf Monaten mehr als 200 000 Mal ausgelöst. Foto: Horst Haas

An der B 27 bei Walddorfhäslach stehen zwei neue Anlagen, die fünf Monate lang im Minutentakt ausgelöst haben. Die Wut vieler Autofahrer ist enorm.

Walddorfhäslach - Noch immer ist die Wut rund um Tübingen und Reutlingen nicht abgeebbt, auf die Amtsgerichte rollt eine Flut an vielen tausend Einsprüchen zu: Von Mai bis September hat es bei zwei neuen Radarfallen an der B 27 zwischen Tübingen und Stuttgart auf Höhe Walddorfhäslach im Schnitt jede Minute einmal geblitzt, 1400-mal am Tag, 205 000-mal in den fünf Monaten. Seit dort eine Baustelle abgebaut worden ist, sank die Zahl auf 350. 2,2 Millionen Euro hat der Landkreis Reutlingen nach eigener Aussage bisher allein mit diesen beiden Anlagen eingenommen – im ganzen letzten Jahr waren es bei allen 20 Blitzern des Kreises 1,34 Millionen Euro gewesen. Klarer Fall von Abzocke?

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Pendler machen Landratsamt drei Vorwürfe

Viele Autofahrer, die erwischt wurden, halten die Anlagen für „total link“ (so eine Pendlerin) und machen dem Landratsamt drei Vorwürfe. Erstens stünden die Blitzer direkt hinter Pfeilern und seien erst im letzten Moment zu sehen. Zweitens gelte in Baustellen meist Tempo 80, hier aber Tempo 60. Und drittens sei die Baustelle zweigeteilt gewesen; nach dem ersten Teil glaubten viele, sie könnten Gas geben. Claudius Müller, der Ordnungsdezernent des Kreises Reutlingen, hat Verständnis und räumt ein, selbst Mitarbeiter des Landratsamts habe es erwischt. Dann versucht er, alles von Anfang an zu erklären. Die Baustelle sei nicht der Grund für die neuen Blitzer gewesen – vielmehr gebe es auf der Bundesstraße seit Jahren zu viele Unfälle: Im vergangenen Jahr habe es bei Walddorfhäslach 22-mal geknallt, 17 Verletzte seien zu beklagen gewesen. Schon seit 2014 sei deshalb entschieden gewesen, dass dort Überwachungsanlagen aufgestellt würden.

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Dass die Blitzer mit der Baustelle eingerichtet worden seien, habe rein logistische Gründe gehabt. Noch vor der Inbetriebnahme der Blitzer, aber schon während der Baustellenzeit hätten mobile Messungen ergeben, dass teils jeder zweite Autofahrer zu schnell durch die Baustelle gerauscht sei: „Es gab und gibt dort eindeutig ein fehlendes Gefahrenbewusstsein“, so Müller. Die drei Vorwürfe kontert er so. Die Blitzer stünden bei zulässiger hoher Geschwindigkeit – jetzt darf man dort wieder Tempo 120 fahren – meist versteckt, weil sonst durch abruptes Bremsen erst recht Gefahren heraufbeschworen würden. Tempo 60 sei vom Regierungspräsidium Stuttgart angeordnet worden; sieben Schilder in jede Fahrtrichtung hätten darauf hingewiesen. Und dieses Tempo habe auch auf der Strecke zwischen den beiden Baustellenabschnitten beibehalten werden müssen, da dort Ausfahrten aus der B 27 liegen: Sonst hätten Fahrer beschleunigt, während vor ihnen andere Autos zum Abfahren bremsten. Einige Gerichtsentscheidungen gibt es mittlerweile, sagt Sebastian Ritter, der Leiter des Ordnungsamts: Sie bestätigten, dass die Einrichtung der Baustelle in dieser Form zulässig war.

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Landratsamt war von der hohen Zahl überrascht worden

Müller gibt aber zu, dass die Straßensituation einen falschen Eindruck vermittelt habe – anders lasse sich die große Zahl an Überschreitungen nicht erklären. Sie seien völlig überrascht worden vom Geschehen und hätten lange debattiert. „Aber was hätten wir tun sollen?“, fragt Müller. Den Blitzer vorübergehend abzuschalten sei keine Option gewesen bei so vielen Verstößen. Und man habe es auch nicht für sinnvoll erachtet, direkt vor den Anlagen ein Schild aufzustellen, das vor den Blitzern warnt; denn das Ziel sei, dass die Autos auf der ganzen Strecke nicht zu schnell seien.

350 Überschreitungen pro Tag sind für das Landratsamt aber immer noch viel zu viel. Man wolle deshalb mit den Nachbarkreisen sprechen: „Vielleicht kann man schon weit vor den Blitzern ein Schild installieren“, sagt Claudius Müller. Das Reutlinger Landratsamt wäre dafür.