Beim Leiter der Autobahnpolizeiwache in Stuttgart, Jürgen Helgert, häufen sich derzeit die Anrufe. Gegen den Stress betreibt der 59-Jährige Triathlon. Foto: factum/Granville, SDMG

Die Einsätze auf den Autobahnen häufen sich wieder. In diesem Jahr versuchten die Stuttgarter Streifenbeamten bereits 33 Geisterfahrer zu stoppen. Bei nur vier ist es gelungen. Zuletzt wurde ein 25-Jähriger gefasst. Er war betrunken.

Stuttgart - Es ist 20.07 Uhr an einem Dienstagabend. Mehrere Verkehrsteilnehmer melden einen Falschfahrer auf der Autobahn 81 zwischen den Anschlussstellen Pleidelsheim und Mundelsheim (Kreis Ludwigsburg). Die Polizeidirektion Ludwigsburg schlägt Alarm bei der Verkehrspolizeidirektion am Stuttgarter Pfaffenwaldring. Jonathan Bessey fährt mit drei Kollegen in zwei Streifenwagen sofort los. Der Adrenalinpegel steigt bei dem 25-Jährigen Beamten im Streifendienst – es ist sein erster Einsatz dieser Art. „Zuletzt hat es mehr Fälle mit Falschfahrern gegeben“, sagt Jürgen Helgert, der Leiter der Wache. In aller Regel gehen die Geisterfahrer der Autobahnpolizei allerdings nicht ins Netz.

Autofahrer blockiert Geisterfahrer

Allein in diesem Jahr sind bereits 33 Fahrer gemeldet worden, die im Bereich der Stuttgarter Autobahnpolizei in der falschen Richtung unterwegs waren. Im gesamten vorigen Jahr waren es 21. „Die Zahl geht rauf und runter“, stellt Helgert fest. Weshalb, das weiß er auch nicht. Die Vorfälle häuften sich an Wochenenden. „Da sind Fahrer unterwegs , die sich nicht so gut auskennen“, erklärt der Stuttgarter Dienstchef. Oder sie seien alkoholisiert. Von einzelnen Schwerpunkten könne man eigentlich nicht sprechen. Freilich: die Gefahren lauern an den Autobahnzufahrten, an Rasthöfen – und an Parkplätzen.

Der bisher letzte Falschfahrer in Helgerts Einzugsbereich zwischen Pleidelsheim und Mundelsheim (Kreis Ludwigsburg), ist der 25-Jähriger aus Osteuropa, der zwei Promille im Blut hat, wie eine Untersuchung ergibt. Er verließ an jenem Abend den Parkplatz Kälbling und wollte wohl in Richtung Würzburg, fuhr jedoch in Richtung Stuttgart. „Er gefährdete mindestens zwei Verkehrsteilnehmer“, hält Bessey später in seinem Bericht fest. Geistesgegenwärtig blockierte ein 48 Jahre alter Autofahrer den Mann auf der rechten Spur. Als Bessey und seine Kollegen eintreffen, hat der beherzte 48-Jährige dem jungen Mann bereits die Autoschlüssel abgenommen.

Rückwärts auf dem Standstreifen oder Wendemanöver

„Oft wird auf der Autobahn gewendet, auf Standstreifen oder an Anschlussstellen rückwärts gefahren, wenn das Malheur erkannt wird“, erklärt Helgert. Die allermeisten machen sich danach erfolgreich aus dem Staub. Lediglich vier Falschfahrer wurden im laufenden Jahr gefasst, im Vorjahr waren es ganze zwei. Laut einer Schätzung gibt es in Deutschland jährlich etwa 2000 Falschfahrer. Dabei kommt es verhältnismäßig selten zu Unfällen – doch wenn, dann sind sie meist schwerwiegend.

Wie jener am Abend des 5. August 2016, als ein orientierungsloser 76-Jähriger in verkehrter Richtung bei Gärtringen auf die A 81 fuhr. Vor dem Schönbuchtunnel kollidierte er mit dem Wagen einer 35-Jährigen. Der Mann starb, die Frau wurde schwer verletzt. In Helgerts Zuständigkeitsbereich war dies in den vergangenen fünf Jahren der einzige Unfall wegen eines Geisterfahrers, den der Polizist verzeichnen musste.

Nagelgurt auf der Fahrbahn

Der Polizeihauptkommissar, seit 1981 bei der Autobahnpolizei Stuttgart und bis 2009 im Streifendienst, kann sich noch an seine letzten Fälle erinnern, als er Falschfahrer stoppte: „Bei dem einen fuhren wir am Stuttgarter Kreuz in Richtung München nebenher, während dieser auf der anderen Fahrbahn Richtung Karlsruhe ebenfalls in Richtung München unterwegs war“, Helgert forderte ihn via Lautsprecher auf, rechts anzuhalten: „Der Mann tat das auch. Ich wendete sein Auto und fuhr es weg. Bei einem anderen legte er zwischen dem Kreuz Stuttgart und Sindelfingen-Ost einen Nagelgurt auf die Fahrbahn: „Der älterer Herr konnte vorher noch bremsen.“

Gegen den Stress, der im Innendienst kaum weniger wurde, betreibt Helgert täglich Sport, seit kurzem Triathlon. Zur Zeit häufen sich die Anrufe. Die Beamten werden auch zu Unfällen gerufen, die nichts mit Geisterfahrern zu tun haben. „Die Einsätze prasseln auf uns ein. Wir können nicht alles gleich bewältigen“, sagt Helgert, „wir könnten mehr Personal gebrauchen.“

Führerschein und Wagenschlüssel beschlagnahmt

Zumal Fälle wie jüngst mit dem jungen Mann aus Osteuropa einen immensen Aufwand bedeuten. Es wurde ein Dolmetscher benötigt. Der 25-Jährige stritt alles ab und reagierte aggressiv. Die geforderte Sicherheitsleistung von tausend Euro konnte er nicht bezahlen. Er musste eine Adresse angeben und hat mit einem Bußgeld zu rechnen. Sein Führerschein und die Wagenschlüssel wurden beschlagnahmt. Er kam wieder auf freien Fuß. Weil er an jenem Abend kein Hotel mehr fand, durfte er auf der Wache schlafen.

Beamte in Zivil, getarnte Autos

Zuständigkeit:
Der Bereich der Autobahnpolizei des Polizeipräsidiums Ludwigsburg umfasst insgesamt 112 Autobahnkilometer. Er reicht auf der A 81 von Mundelsheim (Kreis Ludwigsburg) bis zum Dreieck Leonberg (Kreis Böblingen) sowie vom Kreuz Stuttgart bis nach Rottenburg (Kreis Tübingen). Auf der A 8 sind die Beamten von Heimsheim (Enzkreis) bis Wendlingen (Kreis Esslingen) zuständig. Die Autobahnpolizisten rücken in den Kreisen Böblingen und Ludwigsburg auch zu schweren Unfälle außerhalb der Schnellstraßen aus, wenn es Schwerverletzte oder Tote gibt.

Ausstattung
: Am Standort Stuttgart sind 173 Polizeibeamte im Einsatz. Fünf Dienstgruppen mit 13 bis 15 Kräften decken den Schichtdienst rund um die Uhr ab. Die Autobahnpolizei verfügt über insgesamt etwa 50 Fahrzeuge.

Tätigkeitsfelder:
Die Beamten der Autobahnpolizei haben viele Aufgaben. Acht sind zum Beispiel als Fahnder in Zivil unterwegs, um Kriminellen oder Drogensüchtigen auf die Spur zu kommen. Sieben Kollegen stehen zur Unterstützung des Tagesdienstes bereit, fünf widmen sich der Unfallermittlung. Für schwierige Ermittlungen gibt es zusätzliches Personal. Einige der Einsatzkräfte sind für die Videoüberwachung eingeteilt sowie zur Lichtschrankenmessung. Dafür gibt es getarnte Fahrzeuge.