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Weil moderne Pkw immer besser gegen Lärm geschützt sind, finden Einsatzfahrzeuge kein Gehör

Stuttgart - Meldungen von Verkehrsunfällen wegen überhörter Signalhörner begegnen uns in schöner Regelmäßigkeit. Auf 272.000 Einsatzfahrten kommt statistisch ein Toter. Die Gründe für das Nichtwahrnehmen des doch eigentlich markerschütternden Signals bleiben dabei meist außen vor.

Doch sie sind vielschichtig: Die wachsende Informationsflut durch Navi, Bordcomputer und Freisprecheinrichtungen sowie immer stärkere Soundsysteme sind das eine. Für sie gibt es keine Reglementierung. Eine entscheidendere Rolle spielen nach Ansicht von Experten aber die verbesserte Schallisolierung moderner Fahrzeuge. "Gerade bei den nobleren Modellen wähnt man sich in einer anderen Welt, sobald die Tür zu ist. Da hörst du nichts mehr", sagt Ralf Bettermann, der für den Auto Club Europa (ACE) Sicherheitstrainings für Fahrer von Einsatzfahrzeugen abhält.

Beispiel Mercedes S-Klasse, in Sachen Technik und Entwicklung das Vorbild für jeden anderen Fahrzeugtyp: Die Entwickler in den Geräuschlabors von Daimler übertreffen sich mit jeder neuen Ausführung selbst. Da werden so lange Sitzpolster gedämpft, Schwingungstilger ins Lenkrad gebaut und der Motorraum mit Harzschaum abgedichtet, bis die äußere Lärmkulisse nur noch zu einem gedämpften Rauschen verschwimmt. Allein durch neue Materialien zwischen Reifen und Fahrwerk konnte bei der aktuellen S-Klasse der Geräuschpegel im Vergleich zum Vorgängermodell um zwei bis drei Dezibel gesenkt werden.

Dagegen kommen auch Martinshörner nur noch schwer an. Ihre Lautstärke ist auf 110 Dezibel in dreieinhalb Meter Abstand begrenzt. Das ist eigentlich beachtlich. Ein Presslufthammer bringt es in einem Meter Entfernung nur auf 100 Dezibel. Und doch stößt das Signal oft auf taube Ohren. "Vor allem in der Stadt ist wegen des allgemein höheren Geräuschniveaus schon nach wenigen Metern Schluss", weiß ACE-Experte Bettermann. Durch immer stärkere Lichtreize etwa durch Reklame verlöre auch das Blaulicht vielfach seine Wirkung, wie aus einer Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege hervorgeht.

Eine erhöhte Unfallquote kann die baden-württembergische Polizeistatistik nicht ausmachen. Laut einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen sind Einsatzfahrzeuge jedoch achtmal so häufig in einen Unfall verwickelt wie normale Verkehrsteilnehmer. Die meisten Karambolagen ereignen sich auf Kreuzungen - meist bekommen die speziell geschulten Fahrer die Schuld zugewiesen.

Vonseiten der Polizei, Feuerwehr und des Rettungswesens wird daher alles versucht, die rasanten Fahrten mit Martinshorn und Blaulicht sicherer zu machen. So hat die Stuttgarter Feuerwehr kürzlich an zwei Fahrzeugen sogenannte Zischhörner getestet. Das Gemisch aus unterschiedlichen Tonfrequenzen sollte eigentlich die räumliche Zuordnung verbessern. Mit dem Ergebnis, dass Passanten die Besetzung auf ihr defektes Martinshorn hinwiesen. Zu einer besseren Wahrnehmung im Verkehr führte der Zischton jedoch nicht.

Es war nicht der erste gescheiterte Versuch mit anderen Kompositionen. Also verabschieden sich die Entwickler langsam von der Strategie neuer Tonfolgen und setzen vermehrt auf die direkte Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation. SIMTD (Sichere intelligente Mobilität - Testfeld Deutschland) lautet eines dieser Projekte, die sich mit den Warnhinweisen der Zukunft befassen. Dabei werden 400 Fahrzeuge mit speziellen Navigationsgeräten ausgestattet, welche die Steuerung quasi übernehmen.

"Die Warnung vor Einsatzfahrzeugen ist eine Applikation von vielen", erklärt Helen Däuwel von SIMTD, an dem auch Daimler beteiligt ist. Denkbar sei auch, Ampeln für den Gegenverkehr auf Rot zu schalten, wenn Polizei oder Feuerwehr im Anmarsch ist. Bis zur praktischen Anwendung dürften allerdings noch drei bis fünf Jahre vergehen. Bis dahin gilt es, weiter wachsam zu sein - mit den Augen und den Ohren.