Der Platz vor dem Louvre, Frankreichs größtem Museum, ist schon lange autofrei. Doch mittlerweile kann man große Teile von Paris mit dem Rad erkunden – was nicht nur Landesverkehrsminister Winfried Hermann (vorne) beeindruckt. Foto: Staatsministerium/Jana Hoeffner

Eine Delegation aus Baden-Württemberg erfährt in der französischen Hauptstadt, dass der Schlüssel für eine moderne Mobilität bei der Politik liegt.

Paris - Frankreichs Metropole ist eine Autostadt. Stoßstange an Stoßstange wälzt sich die Kolonne am Seine-Ufer entlang, so wie hier am Quai de Montebello unweit von Notre Dame. Mancher blickt hinüber zur Kathedrale, die seit dem verheerenden Brand eingerüstet ist. Doch mindestens so viel Aufmerksamkeit erregt die breite Fahrrad-Trasse, die seit kurzem neben der Stadtautobahn verläuft. „Einseitiger Zweirichtungsradweg“ heißt so etwas im Fachjargon: Abgetrennt durch massive Bordsteine flitzen hier täglich Tausende am Stau vorbei.

Die kleine Gruppe aus Baden-Württemberg auf ihren Leih-Velos muss aufpassen, dass sie nicht unter die Räder kommt. Dabei sind sie keine Touristen, sondern Experten in Sachen Mobilität: Wissenschaftler, Städtevertreter, darunter Karlsruhes OB Frank Mentrup, aber auch Verkehrsminister Winfried Hermann. Sie sind Teil einer 50-köpfigen Delegation von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die zwei Tage lang unterschiedliche Themen bei den Franzosen aufruft – unter anderem urbane Mobilität. Immer wieder hält das Grüppchen an und staunt: „Unglaublich!“

Knallhart eine Spur genommen

Als Fahrrad-Metropole ist Paris tatsächlich noch nicht bekannt. „Bei uns galt lange das Motto: Die Stadt muss sich dem Auto unterordnen“, sagt Christophe Najdovski (Grüne), der Vizebürgermeister der Millionenstadt. Doch der Leidensdruck von Luftverschmutzung, Lärm und Dauerstau hat die Rathausspitze zu radikalen Schritten bewogen. Ziel: mehr ÖPNV, mehr Car-Sharing, mehr Rad- und Fußverkehr. An vielen Schneisen hat man den Autos knallhart eine Spur genommen – zugunsten von Radlern und Fußgängern.

„Der Individual-PKW ist das am wenigsten effiziente und logische Transportmittel“, sagt Najdovski. Doch um die Menschen zum Umsteigen zu bewegen, bedürfe es einer hochwertigen Alternative. Für viel Geld baut die 12-Millionen-Region deshalb gerade ihr ÖPNV-Netz aus, so dass die Pendler nicht jedes mal durchs Zentrum fahren müssen, wenn sie von Osten nach Westen wollen. Die Besucher aus Stuttgart nicken, sie kennen das Problem. Hermann lächelt bei den Ausführungen des Vizebürgermeisters, denn für eine ähnliche Tonlage wird er zu Hause häufig gescholten. „Sehr mutig“ findet er denn auch die radikalen Beschlüsse.

Auch Lyon steuert um

Natürlich habe es heftige Kontroversen gegeben, erfährt die Delegation. Doch der Widerstand habe sich gelegt. „In vier Monaten sind Kommunalwahlen“, sagt Najdovski, „doch keiner der Kandidaten stellt die Verkehrsberuhigung in Frage.“ Die Bürger freuten sich über die neuen Grünflächen, die Radler über die Zeitersparnis. Vor allem: Wenn Paris 2024 die Olympischen Spiele ausrichtet, würde die Stadt im Verkehr ertrinken, bliebe alles beim Alten. Bei Fahrverboten ist Paris allerdings noch nicht so streng wie etwa Stuttgart. Selbst Euro-3-Autos dürfen zeitweise noch fahren. Bis 2024 will die politische Spitze aber sämtliche Diesel aus der City verbannen, denn diese Antriebsart sei „für die Stadt nicht geeignet“, meint der Vizebürgermeister. Da hakt Hermann dann doch ein: „Im Autoland Baden-Württemberg denkt man über den Diesel anders“, sagt er und erläutert die Vorzüge des Euro-6d-Motors.

Auch in anderen französischen Städten gebe es solche Entwicklungen, erfahren die Besucher, so etwa in Frankreichs drittgrößter Stadt Lyon. Der Individualverkehr mit Pkw habe dort Dank alternativer Angebote „spektakulär“ abgenommen, sagt der Arnaud Van Troeyen, in leitender Funktion beim weltweit tätigen Nahverkehrsunternehmen KEOLIS. Er ist überzeugt: „Das ist die Folge einer konsequenten Politik, die Zahl der Autos zu reduzieren und mehr Angebote im ÖPNV zu schaffen.“

Es geht um klare Vorgaben

Die mitgereisten Hochschulvertreter reagieren auf solche Aussagen geradezu elektrisiert. Da mögen die Franzosen noch so viele technische Neuerungen präsentieren, so etwa die Nutzung großer Datenmengen zur besseren Verkehrslenkung – oft lehnen sich die Deutschen entspannt zurück und murmeln: „So ähnlich machen wir das auch.“ Doch wenn es um politische Vorgaben geht, werden sie unruhig: „Paris zeigt, was die Politik erreichen kann, wenn sie es will“, sagt etwa Martin Kagerbauer vom KIT. Paris komme von einem niedrigen Level her und habe doch in kurzer Zeit viel erreicht, sagt der Karlsruher Verkehrswissenschaftler. Das klappe nur mit klarer Ansage und alternativen Angeboten: „Die Leute steigen um, wenn’s ihnen Vorteile bringt.“ Das bedeute nicht, das Auto zu verbieten, der richtige Mix mache es, meint Kagerbauer.

Man benötige ein Gesamtkonzept für den Systemwandel, Fahrradwege allein reichten nicht, sagt Cordula Kropp, Professorin an der Uni Stuttgart. Aber auch sie ist überzeugt: Der Schlüssel liegt bei der Politik. Auch Verkehrsminister Hermann nimmt diese Botschaft mit nach Hause. Wenn er könnte wie er wollte: Baden-Württemberg würde wohl etwas französischer werden.