Der Verkehr ist für fast ein Drittel aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Foto: dpa/Stratenschulte

Im dritten Jahr in Folge ist der Ausstoß von Treibhausgasen in Baden-Württemberg nicht zurückgegangen. Was läuft schief?

Stuttgart - Schon so manches hehre Ziel hat das Statistische Landesamt in den Orkus befördert, indem es einige nüchterne Zahlen vorgelegt hat. So jetzt das Klimaziel: Bis Ende nächsten Jahres wollte Baden-Württemberg 25 Prozent weniger Treibhausgas ausstoßen im Vergleich zu 1990, doch 2015 und 2016 sind die Emissionen sogar um zusammen 4,5 Prozent gestiegen; 2017 blieben die Treibhausgase konstant, wie die Behörde vor wenigen Tagen verkündet hat. Geradezu deprimierend ist eine andere Zahl: Von den geplanten 25 Prozent weniger sind bisher nur 11,6 geschafft. Das ist nicht einmal die Hälfte, und es bleiben nur noch 20 Monate Zeit.

Aber längst hat Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) eingeräumt, dass die Zwischenetappe verfehlt werde. Dafür seien teilweise die EU und der Bund verantwortlich, betont Ralf Heineken, der Sprecher des Umweltministeriums: Der Klimaschutz auf Bundesebene sei „unambitioniert“, im Gebäudebereich herrsche „seit mindestens drei Jahren Totalausfall“, der Netzausbau gehe zu langsam voran.

Anteil des Verkehrs an Treibhausgasen liegt bei 30 Prozent

Aber er gibt zu, dass auch das Land seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Zwar kann man durchaus Erfolge verzeichnen. So wurde die Windkraft stark ausgebaut, und das bei vielen Hausbesitzern unbeliebte Energiewärmegesetz bewirkt, dass beim Tausch der Heizung erneuerbare Energien berücksichtigt werden müssen. Aber vor allem der Verkehr macht enorme Probleme: Er ist mit 30 Prozent Hauptverursacher der Treibhausgas-Emissionen und steigt weiter, während die E-Mobilität nicht entscheidend vorankommt. Hintergrund ist die gute Konjunktur, die dazu geführt hat, dass der Güterverkehr allein 2017 um 3,3 Prozent gewachsen ist. Der Autoverkehr war dagegen sogar leicht rückläufig, sagt das Statistische Landesamt.

Ralf Heineken geht davon aus, dass das Land am Ende sein Ziel um 2,3 bis 6,7 Prozentpunkte verfehlen werde. Der Hauptgrund für diese große Spanne steht in Philippsburg: Ende dieses Jahres geht dort das vorletzte Kernkraftwerk im Südwesten vom Netz – wird der fehlende Strom künftig in Kohlekraftwerken erzeugt, was realistisch sein kann, schießen die Treibhausgase erneut in die Höhe. Um ein AKW klimaneutral zu ersetzen, bräuchte man mehrere Tausend Windräder. Baden-Württemberg hat derzeit 720.

BUND kritisiert Zwist in der grün-schwarzen Regierung

Sylvia Pilarsky-Grosch, die Landesgeschäftsführerin des BUND, lässt den Umweltminister deshalb nicht so leicht davonkommen. „Nach einem Ende der Stagnation sieht es in Baden-Württemberg leider nicht aus“, wettert sie: „Grün-Schwarz streitet seit Monaten über das neue Klimaschutzgesetz.“ Tatsächlich konnten sich die Koalitionspartner bisher nicht über die Eckpunkte für die Novellierung des Gesetzes einigen. Die CDU will vorher Bescheid wissen über die realen Maßnahmen und die Kosten; deshalb wird nun ein Gutachten erstellt. Paul Nemeth, der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, ist auch der Meinung, dass die Bundes-CDU zu wenig gemacht habe. Aber die grün-rote und die grün-schwarze Landesregierung eben auch: „Bei den 8000 Landesimmobilien könnte man viel weiter sein, und das Energiewärmegesetz bremst den Austausch im Keller, weil jeder so lange wie möglich seine alte Ölheizung behält.“ Da will Nemeth deutliche Nachbesserungen.

Einig sind sich Ministerium und Umweltorganisationen in der Frage, welche beiden Bereiche massiv beackert werden müssten: Es hapert kräftig dabei, den emissionsfreien Verkehr und den Wärmemarkt auszubauen – unter Letzterem versteht man die Dämmung der Häuser, die Nutzung von Abwärme und das Heizen mit Fernwärme oder mit dezentralen Blockheizkraftwerken, die umliegende Wohngebiete mit Wärme beliefern. Michael Fuchs vom Stuttgarter Bürgerverein Kommunale Stadtwerke geht mit der Landesregierung hart ins Gericht: „Es fehlt in Baden-Württemberg in allen Sektoren außer bei der Windkraft.“ Vorbild müsse Dänemark sein, wo 64 Prozent der Gebäude an ein Fern- oder Nahwärmenetz angebunden sind und also keine eigene Heizung mehr im Keller steht.

Das Ministerium wiegelt ab – Dänemark habe schon vor 25 Jahren mit der Wärmewende begonnen, man könne das Modell nicht übertragen. Dennoch denkt das Land in die gleiche Richtung. Es hat jetzt die Stadtwerke Schwäbisch Hall ausgezeichnet, die es vor Kurzem geschafft haben, neun Kommunen mit Strom aus erneuerbaren Energien zu versorgen; 2200 Haushalte wurden an ein Fernwärmenetz angeschlossen. Und Liggeringen bei Radolfzell hat, ebenfalls vom Land unterstützt, eine Holzhackschnitzelanlage und eine solarthermische Anlage gebaut, die Wärme für hundert Haushalte liefert.

Wärmeplanung soll für große Städte verpflichtend werden

Das soll weitergeführt werden – und zwar für große Kreisstädte und Stadtkreise verpflichtend: Sie sollen künftig ein Konzept für eine kommunale Wärmeplanung erarbeiten müssen. Das ist für die Grünen Teil des neuen Klimaschutzgesetzes. Die CDU will die Vorschriften aber mit einer hohen Förderung verbinden, um Anreize statt Zwang zu schaffen.

Natürlich ist auch jeder einzelne Bürger gefragt, seine Lebensgewohnheiten zu überdenken. Weniger Autofahren, weniger stark heizen, weniger Fleisch essen und weniger Urlaubsreisen mit dem Flugzeug – das würde dem Klima guttun. Allerdings betont Ralf Heineken: Auch wenn sich jeder Baden-Württemberger individuell anstrenge, könne man das Ziel für 2050 allein damit nicht erreichen – es braucht die Wende in der Stromerzeugung, den Kohleausstieg und den Ausbau der Wärmenetze. Das Fernziel ist, 2050 pro Person nur noch ein bis zwei Tonnen Treibhausgase jährlich zu erzeugen – heute sind es 7,2 Tonnen.

Die anspruchsvollen Forderungen der Schüler, die gerade bei Fridays for Future auf die Straße gehen, sind aus dieser Sicht also berechtigt. Das Umweltministerium kommentiert die Proteste mit diesen Worten: „Das ist ein Wunschzettel, den wir teilen; dass er so drastisch klingt, liegt nicht an den Wünschen, sondern daran, dass wir es in den letzten Jahren insbesondere auf Bundesebene versäumt haben, die Weichen richtig zu stellen.“