Streiks von Lehrern, wie hier im Osten Deutschlands, sollen nach Wunsch der Gewerkschaft GEW auch im Westen üblich werden. Foto: dpa, Marco Urban

Das Bundesverfassungsgericht muss beurteilen, ob das geltende Streikverbot für Staatsdiener noch rechtens ist. Vier beamtete Lehrer klagen dagegen mithilfe ihrer Gewerkschaft. Die Verhandlung Mitte Januar in Karlsruhe wird die Richtung vorgeben.

Stuttgart - Wenn an diesem Sonntag die Spitzenvertreter des Deutschen Beamtenbundes (DBB) zu ihrer traditionellen Tagung in Köln zusammenkommen, dürfte mit Sorge diskutiert werden, ob die Grundfesten des Berufsbeamtentums in diesem Jahr schwer erschüttert werden. Denn am 17. Januar steht vor dem Bundesverfassungsgericht eine mündliche Verhandlung an, in der das Streikverbot für die Staatsdiener zur Disposition steht. Würde es in Karlsruhe gekippt, könnte dies den öffentlichen Dienst revolutionieren. Dann stünden Teile des Aushandlungsprozesses für die Arbeits- und Einkommensbedingungen infrage.

Gegen ein Streikverbot geklagt haben vier beamtete Lehrkräfte aus drei Bundesländern, die von der Bildungsgewerkschaft GEW unterstützt werden. Sie hatten früher in der Dienstzeit wiederholt an Protestveranstaltungen und Streiks teilgenommen, was durch die vorgesetzten Behörden disziplinarrechtlich geahndet und gerichtlich bestätigt wurde. Dagegen richten sich nun ihre Verfassungsbeschwerden.

Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn

Die GEW tritt in dem Rechtsstreit Seit an Seit mit dem Gewerkschaftsbund (DGB) und Verdi an. Nein, sie wolle das Berufsbeamtentum nicht zerschlagen, sagte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe unserer Zeitung: „Es geht im Wesentlichen darum, ein Grundrecht für Beamte, das ihnen bisher vorenthalten wird, durchzusetzen und das Beamtenrecht zu modernisieren.“ Artikel 9 des Grundgesetzes garantiere die Koalitionsfreiheit: das Recht von Arbeitnehmern, sich zur Wahrung ihrer Interessen zusammenzuschließen und zu streiken. Im Artikel 33 wiederum werde die Koalitionsfreiheit eingeschränkt durch die Treuepflichten des Beamten gegenüber seinem Dienstherrn – Arbeitsniederlegungen sind untersagt.

Neben dieser Kollision innerhalb des Grundgesetzes gebe es aber noch eine zweite Kollision zwischen dem Völkerrecht und dem deutschen Recht, so Tepe. „Diese Widersprüche müssen aufgelöst werden.“ Damit spielt sie auch auf die Europäische Menschenrechtskonvention an, die ein umfassendes Streikrecht für Beamte gewährleistet.

Eine Streikerlaubnis für Polizisten steht nicht zur Debatte

Auch aus Sicht der GEW ist der Beamte zwar zu einer besonderen Loyalität verpflichtet. „Das Treueverhältnis ist geboten“, sagt Tepe. „Das muss aber nicht bedeuten, dass man nicht wie mit anderen Arbeitgebern auch die Arbeitsbedingungen aushandeln kann.“ Bisher werden diese vom Dienstherrn einseitig verordnet. Der Fokus richtet sich auf die Lehrer, weil ein Streikverbot bei den hoheitlichen Aufgaben wie der Polizei oder Feuerwehr kaum infrage gestellt wird. Doch befürchten die Befürworter des Verbots, dass mit einer Öffnung das gesamte Gebäude des Berufsbeamtentums zusammenbrechen könnte.

Um die 200 000 angestellte Lehrkräfte gibt es bisher in Deutschland – die meisten von ihnen in Sachsen, wo Lehrer viele Jahre nicht verbeamtet wurden. Dort haben sie als Tarifangestellte auch schon völlig legal an Arbeitskämpfen teilgenommen. Von einer Aufhebung des Streikverbots wären bundesweit noch einmal 650 000 beamtete Lehrer direkt tangiert.

Lehrer handeln sich Vorwurf der Rosinenpickerei ein

„Bisher hat es in Deutschland nur selten Lehrerstreiks gegeben, Warnstreiks zumeist“, sagt die GEW-Vorsitzende. Ihre Gewerkschaft gehe mit dem Streikrecht verantwortungsvoll um. „Wir informieren vorher und sorgen für Regelungen, damit den Schülern in der Regel keine wesentlichen Nachteile entstehen.“ Denn: Streiks sollen speziell den Arbeitgeber treffen. „Wir wissen, dass sich die Kollegen durch die Vielfalt der Aufgaben extrem belastet sehen“, sagt Tepe. „Insofern könnte ich mir schon vorstellen, dass es eine Streikbereitschaft gibt.“ Einen Dissens in der Frage sieht sie in den eigenen Reihen nicht. „Unsere Mitgliedschaft steht hinter unserer Forderung nach einem Streikrecht.“Wenn Lehrer über ihre Einkommen verhandeln und auch dafür streiken wollen, aber zugleich die Vorteile des Beamtendaseins genießen, handeln sie sich den Vorwurf der Rosinenpickerei ein. „Richtig ist, dass es Unterschiede zwischen den Statusgruppen gibt“, gesteht Tepe ein. „Aber die Beamten haben auch schon viele Nachteile hinnehmen müssen.“ So seien Jahressonderzahlungen „nach Gutsherrenart abgeschafft“ und Versorgungsansprüche gekürzt worden. Bei der Beihilfe zahlten Beamte eine Kostendämpfungspauschale, die der Arbeitgeber nicht mitträgt. „Da ist den Beamten immer wieder einiges zugemutet worden.“

Der Beamtenbund bereitet sich auf den Streit vor

Der Grundkonflikt zieht sich mitten durch das Lager der Gewerkschaften, weil es für diese um Existenzfragen geht. Der Beamtenbund hat sich auf den Streit mit großem Aufwand vorbereitet: Matthias Pechstein, Lehrstuhlinhaber an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder), Experte für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht, liefert den juristischen Geleitschutz: 56 Seiten umfasst seine Stellungnahme. Darin heißt es etwa, dass die bislang vorliegenden Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Streikrecht die Bundesrepublik nicht binden würden. Schon früher hat der einstige Verfassungsrichter Udo Di Fabio ein 66-seitiges Gutachten verfasst, mit der Schlussfolgerung: „Das Verfassungsrecht (. . .) steht der Einführung oder Duldung eines Streikrechts für Beamte prinzipiell und damit in bestimmten Tätigkeitsfeldern entgegen.“ Letztendlich sieht der Beamtenbund weder eine rechtliche Veranlassung noch die verfassungsrechtliche Möglichkeit, dass Karlsruhe das Streikverbot für Beamte funktionsbezogen modifiziert.

Wann Karlsruhe ein Urteil fällt, ist schwer vorherzusagen. Spekuliert wird über einen Termin bis Frühsommer, doch kann die Entscheidung auch erst im Herbst verkündet werden.