Stephen Beck spricht über Flüchtlinge in Gemeinden. Foto: privat

Wie öffnen sich Gemeinden für Flüchtlinge? Der Autor, Dozent und Pastor Stephen Beck berichtet darüber in Korntal. Vorab ein Gespräch über Christsein, Pünktlichkeit und Ehefrauen.

Korntal-Münchingen - Nicht die Religion, die Kirchengemeinschaft trage zur Integration bei, sagt der Frankfurter Theologe Stephen Beck. Er spricht bei einer Veranstaltung zum interkulturellen Gemeindebau und wird dafür werben, mutig zu sein.

Herr Beck, Sie erleben nach eigenen Angaben das Abenteuer Ihres Lebens. Wie erleben Sie denn die Flüchtlinge in der Gemeinde?
Unterschiedlich. Einige kamen in die Gemeinde und haben sich taufen lassen, um sich einen Platz in Deutschland zu sichern. Irgendwann merkt man dann, sie nutzen den christlichen Glauben und die Gemeinde für ihre eigene Zwecke – und das, nachdem man viel in sie investiert hat. Das tut natürlich weh. Aber die Motive der meisten waren und sind echt. Sie sind jetzt Freunde, tragen viel in der Gemeinde bei, und werden von allen als gleichwertig angesehen, sie werden geliebt und geschätzt.
Kann Religion überhaupt zur Integration der Flüchtlinge beitragen?
Es kommt darauf an, was man unter „Religion“ versteht. Wir müssen da ganz besonders mit Muslimen Klartext reden, wenn sie uns bitten, getauft zu werden. Sie wechseln nicht ihre Religion im Sinne von einer Liste muslimisch-moralischer Lebensregeln zur anderen Liste mit christlich-moralischen Verhaltensregeln. Christsein ist grundsätzlich nicht eine institutionalisierte Religion – mit Kerzen und Ritualen und Kirchensteuer und so weiter – sondern eine persönliche Nachfolge Jesu, dem man sein Leben als Herr über jeden Lebensaspekt unterordnet. Aus dieser Sicht her würde ich sagen: Nein, Religion trägt nicht zur Integration der Flüchtlinge bei.

Integration über die Sprache

Es gibt aber auch eine andere Sichtweise?
Was zur Integration beiträgt ist eine Kirchengemeinschaft, die sich als Integrationsmittel sieht. Wir helfen, Migranten zu integrieren, indem wir ihnen Deutsch beibringen, indem wir ihnen unsere deutsche Kultur erklären, indem wir mit ihnen sehr geduldig umgehen, indem wir von ihnen erwarten, dass sie sich in unsere Kultur einfinden – zum Beispiel in Sachen Pünktlichkeit oder Betreuung ihrer Kinder – , während sie ihre eigene Kultureigenschaften beibehalten können, sogar indem wir ihnen zeigen, wie Ehemänner ihre Ehefrauen zutiefst schätzen und respektieren.
Welche Voraussetzungen müssen für eine gelingende Integration geschaffen sein?
Drei Dinge fallen mir da sofort ein: erstens, Demut. Wir kommen den Geflüchteten und den Migranten mit Demut entgegen, dass unsere Kultur nicht besser ist als ihre. Sie ist halt die Kultur des Landes, in dem sie jetzt ihr Leben verbringen und ihre Kinder erziehen werden, aber wir sind nicht kulturell besser. Zweitens, wir fühlen uns priviligiert, ganz besonders als Deutsche, dass wir diesen oft traumatisierten Flüchtlingen eine Hilfe und eine Zuflucht sein dürfen. Und die dritte Voraussetzung ist Liebe: Diese Menschen spüren das sofort. Die Liebe Gottes in uns ist, was ihnen die Sicherheit gibt, sich auf uns einzulassen und sich uns zu öffnen. Und das ist uns wiederum ein Privileg.

Möglichkeiten für Gemeinden, sich zu öffnen

Welche Chance bieten Flüchtlinge für die Zukunft der Gemeinden in Deutschland?
Viele – nicht alle, aber viele – der Flüchtlinge sind aus dem Islam in die Religionsfreiheit Deutschlands gekommen und in Kirchengemeinden aufgetaucht mit einer Sehnsucht, endlich zu wissen, wer Jesus wirklich war und was die Bibel wirklich lehrt. Wir mussten gar nicht versuchen zu „missionieren“, sie kamen zu uns. Wenn sie dann überzeugt werden und sich taufen lassen, bringen sie ihr eigenes Leben in Gefahr. Ich glaube, jeder von ihnen in unserer Gemeinde – und in allen Gemeinden Deutschlands – ist dann von Muslimen bedroht worden. Diese Hingabe zu der Person Jesus, sogar bereit zu sein, für ihn zu sterben, bewegt dann wiederum viele Deutsche. Gemeinden, die sich den Flüchtlingen geöffnet haben, sind dadurch viel dynamischer als vorher.
Wie können sich Gemeinden für Flüchtlinge öffnen?
Die Gemeinden, die sich den Flüchtlingen geöffnet haben, wussten ja nicht, wie man das tun kann. Das war für uns alle sehr neu, wir hatten so eine Situation ja nie zuvor. Wir mussten zuerst herausfinden, was die Flüchtlinge brauchen – und da kamen wir schnell darauf, ihnen Deutsch beizubringen, mit ihnen Gemeinschaft und Freundschaft zu leben, sogar in unseren Gottesdiensten Übersetzungen anzubieten. Man muss ganz einfach Mut fassen, Dinge auszuprobieren, bereit sein Risiken einzugehen, vielleicht sogar am Ende dumm dazustehen, wenn was nicht klappt.