Frank-Walter Steinmeier und Serkan Eren. Foto: Screenshot/Torsten Schöll

Der Stuttgarter Serkan Eren, Gründer der Hilfsorganisation Stelp, diskutiert mit Bundespräsident Steinmeier über Konflikte in der Pandemie.

stuttgart - Was hält die Gesellschaft zusammen, immer schon, aber besonders jetzt, in Zeiten der Pandemie? Und wieso scheint der demokratische Kit aktuell so gefährdet? Wer auf diese Fragen Antworten sucht, wird vor allem dort fündig, wo engagierte Bürger sich um das Zusammenleben ganz verschiedener Menschen tagtäglich verdient machen und wo zugleich die gesellschaftlichen Konflikte unter Pandemiebedingungen wie unter einem Brennglas hervortreten.

Ehrenamtliche zu Gast im Schloss Bellevue

Bei Serkan Eren zum Beispiel. Der 37-jährige Stuttgarter hat die Hilfsorganisation Stelp – eine Wortkombination aus „Stuttgart“ und „help“ – während der Flüchtlingskrise 2016 gegründet. Seitdem sind er und seine Unterstützer, wie er erzählt, auf inzwischen vier Kontinenten und in zehn Ländern dort im Einsatz, wo die Not am größten ist. So viel soziales Engagement hat offenbar auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beeindruckt, weshalb das Staatsoberhaupt Eren am Mittwochvormittag neben 15 anderen ehrenamtlich Aktiven ins Berliner Schloss Bellevue eingeladen hat. Als Vertreter aller 16 Bundesländer sollen die Diskutanten über ihre Erfahrungen aus den vergangenen zwei Jahren berichten.

Wenn soziales Engagement Hassreaktionen provoziert

Soziales Engagement, macht Eren gegenüber Steinmeier deutlich, findet nicht nur Zustimmung, sondern provoziert mitunter auch Hassreaktionen. Vor zwei Wochen erst ist der Stuttgarter von einer Hilfsaktion aus Afghanistan zurückgekehrt und noch am Mittwochnachmittag, berichtet er der Runde in Schloss Bellevue, wolle er in den Libanon fliegen. Der 37-Jährige erzählt von „Morddrohungen in seinem Briefkasten“, die er aufgrund seines Engagements erhalten hat. „Was meine Arbeit angeht“, sagt er, „habe ich nicht nur gute Erfahrungen gemacht.“

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Viele der Diskussionsteilnehmer, wie Heidrun Knoch aus Rheinland-Pfalz, machen radikale Auswüchse in den sozialen Medien für die wachsenden Aggression während der Pandemie verantwortlich. „Das wurde viel zu lang geduldet“, meint die Vorsitzende eines Vereins, der sich für Bildung in den Bereichen Natur und Umwelt stark macht. Steinmeier stimmt zu, befürchtet aber, dass die Polarisierung, die aus dem Netz hervorgeht, auch in Zukunft erhalten bleibe. Er sieht gerade in der „persönlichen Begegnung ein Korrektiv“ gegen radikale Tendenzen.

Soziale Medien helfen Hilfsorganisationen auch

Eren, der am runden Tisch im Amtssitz des Bundespräsidenten direkt neben Steinmeier sitzt, erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die sozialen Medien zwar Konfliktpotenzial bergen. Sie aber beispielsweise auch erst möglich gemacht hätten, was die Hilfsorganisation Stelp in den vergangenen fünf Jahren erreicht hat. In Bezug auf das Internet als Ort der Radikalisierung hält er es deshalb für wichtig, „dass wir uns diesen Raum zurückerkämpfen“.

Fast versöhnlich betont Serkan Eren am Ende der über zweistündigen Diskussion, dass eine Mehrheit der Gesellschaft während der Pandemie den Entscheidungen der Politik letztlich positiv gegenüberstand. „Diese Mehrheit gibt es, sie ist nur leise“, sagt er. „Das sollten wir nicht vergessen.“