Usbekistan ist einer der größten Baumwollproduzenten der Welt, aber es gibt zu wenige Menschen, die für wenig Lohn freiwillig auf den Feldern arbeiten wollen. Foto: Timur Karpov

Usbekistan hat über Jahrzehnte jedes Jahr Hunderttausende zur Schufterei in den Feldern gezwungen. Die neue Regierung hat das System nun verboten. Aber behoben sind die Missstände noch nicht.

Taschkent - Zwangsarbeit gibt es hier nicht mehr“, sagt Sherzod Kudbiev an einem späten Abend mit zufriedener Miene. „Sie ist jetzt rechtswidrig. Und wir tun alles, damit sie nicht trotzdem passiert.“ Der 37-Jährige verschränkt die Arme. Immerhin haben sie hier, im Arbeitsministerium in der usbekischen Hauptstadt Taschkent, vor Kurzem dieses große Problem aus der Welt geschafft. „Das hat uns lange Stunden gekostet“, gesteht der Minister. „Aber es war alle Mühe wert.“ Endlich, das erwähnt Sherzod Kudbiev gern, werden die Bemühungen auch im Ausland honoriert. „Große Fortschritte“ attestierte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in einem Bericht letzten November. Ebenso lobte die EU die von Reformen getriebenen Entwicklungen. Auch deshalb war Kudbievs Chef, Präsident Shavkat Mirziyoyev, kürzlich nach 18 Jahren als erstes usbekisches Regierungsoberhaupt zu einem Staatsbesuch nach Berlin eingeladen. „Wir wollen engere Beziehungen zu Deutschland und der EU aufbauen“, so Kudbiev.

Über Jahre war Usbekistan, mit 32 Millionen Einwohnern das größte Land Zentralasiens, durch eine Abschottungspolitik, die der seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 regierende Diktator Islam Karimov betrieb, international isoliert. Nach dessen plötzlichem Tod im Herbst 2016 übernahm der vorige Premierminister Shavkat Mirziyoyev die Präsidentschaft, seitdem weht ein überraschend frischer Wind durchs Land. Politische Reformen sind im Gange, neue und jüngere Minister im Amt. Die Grenzen wurden geöffnet. Die Medien sollen unabhängiger, die Wirtschaft soll liberalisiert werden.

Auch Minderjährige schufteten auf den Feldern

Die Abschaffung der Zwangsarbeit ist die wohl wichtigste Aufgabe Sherzod Kudbievs. Und vielleicht die schwierigste. Kaum ein Land der Welt hat in einem seiner bedeutendsten Wirtschaftssektoren so systematisch die Menschen- und Arbeiterrechte der eigenen Bevölkerung verletzt wie Usbekistan. In der zumeist staatlich betriebenen Baumwollernte, die Usbekistan zum achtgrößten Produzenten und fünftgrößten Exporteur dieses Rohstoffs weltweit macht, sind über Jahrzehnte Menschen zum Pflücken gezwungen worden.

Von den 2,6 Millionen Pflückern, die nach wie vor jedes Jahr von Mitte September bis Ende November auf den Feldern die weißen Blüten mit den Händen sammeln, stufte die ILO noch 2017 rund 14 Prozent als Zwangsarbeiter ein. Demnach mussten gut 360 000 Menschen, mehr als ein Prozent der Bevölkerung, gegen ihren Willen in den Feldern arbeiten. Bis vor einigen Jahren waren Minderjährige darunter. Das hat dem Ansehen der Agrarnation schwer geschadet. Selbst in der sonst eher pragmatischen Kleidungsindustrie haben sich an die 300 Unternehmen zusammengetan, von Adidas bis Zara, die den Handel mit usbekischer Wolle bis auf Weiteres ablehnen.

Die Schichten sind hart

Doch glücklicherweise gebe es neue Tatsachen: Minister Sherzod Kudbiev, ein Makroökonom, liest vor: „Wir fördern betriebswirtschaftliche Strukturen auf den Baumwollfeldern und schaffen Steueranreize für eine hohe Produktion. Die Löhne für die Ernte haben wir mit Subventionen erhöht, damit sich genügend Freiwillige finden.“ Ökonomisch ergebe es einfach keinen Sinn mehr, noch Menschen zum Schuften zu zwingen.

Wie war es überhaupt dazu gekommen? Nachdem das Land 1991 unabhängig geworden war, fehlten bald intakte Maschinen für eine großflächige Bearbeitung der Felder. So wurden für die vom Staat gesetzten Produktionsziele wieder vermehrt menschliche Hände benötigt. Doch während sich für die erste Ernterunde im September meist noch genügend motivierte Pflücker finden ließen, die bei Löhnen von zuletzt umgerechnet sechs Cent pro Kilogramm rund sechs Euro am Tag einnehmen konnten, raffte sich gen Ende der Erntezeit, wenn die Pflanzen nur noch ein Zehntel an Blüten hergeben, auch gegen eine kleine Lohnerhöhung kaum noch jemand auf. Zu hart die täglichen Schichten, oft von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends, zu gering der Lohn. So zwangen die lokalen Gebietskörperschaften vor allem staatliche Institutionen wie Krankenhäuser und Universitäten unter Androhung von Kündigungen, Personal an die Ernte abzustellen.

Aktivistin: Es ist nicht vorbei

Jetzt soll alles besser sein, behauptet der Arbeitsminister. Doch ein Mitarbeiter einer ausländischen Nichtregierungsorganisation (NGO) erklärt, bezeichnenderweise anonym: „Wir wissen, dass auch 2018 wieder mit Zwangsarbeit geerntet wurde. Wir haben es selbst gesehen.“ Und dem internationalen Sender Radio Liberty zufolge starben bei der letzten Ernte binnen einer Woche drei Menschen, die zum Pflücken gezwungen worden waren, zwei davon an einem Herzinfarkt, einer erhängte sich.

„Es nicht vorbei“, sagt die usbekische Menschenrechtsaktivistin Umida Niyazova , die ihr Land nach einer kurzen Gefängnisstrafe im Jahr 2008 verließ. In Berlin gründete sie das durch UN-Gelder unterstützte Usbekisch-Deutsche Forum für Menschenrechte. In einem Café in Kreuzberg breitet sie Dokumente aus. In behördlichen Papieren von 2018 werden wie immer von lokalen Betrieben Arbeiter für die Ernte gefordert. Ein internes Schreiben vom 18. September mit dem Aktenzeichen „Anordnung 878“ im Metallurgiebetrieb Uzmetkombinat JSC beruft sich mit folgenden Worten auf eine behördliche Weisung: „Um die Baumwollernte im Bezirk Bekabad zu unterstützen, ordne ich die Abstellung von 3200 Personen an.“

Der Minister will die Landwirtschaft automatisieren

Solche Rhetorik erinnert die Frau an ihre eigene Jugend. „Mitte der 90er Jahre wurde ich als Studentin auch zweimal ins Feld geschickt. Es war hart. Stundenlang mussten wir uns bücken. Dann mussten wir in einer Hütte bei den Feldern schlafen, am nächsten Morgen ging wieder alles von vorne los.“ Niyazova erklärt das Phänomen durch eine Kombination aus Plan- und Mangelwirtschaft: „An vielen Stellen werden Produktionsziele noch immer staatlich vorgegeben, und wenn diese nicht erreicht werden können, müssen immer frische Hände her.“ Hat sich nichts geändert? „Die Dinge haben sich verbessert, die Zahlen sind gesunken“, sagt Niyazova. Sie sei vorsichtig optimistisch, dass es weitere Fortschritte geben werde. Dafür spricht schon, dass Mitarbeiter aus dem Arbeitsministerium wieder ihre E-Mails beantworten. Als Sherzod Kudbiev mit den Argumenten der Kritiker konfrontiert wird, schüttelt er leicht gereizt den Kopf: Er wisse genau, mit wem man gesprochen habe.

„Womöglich sind die bestehenden Probleme ein blinder Punkt für das Regime“, sagt der Mitarbeiter der ausländischen NGO in Taschkent. An der völligen Abschaffung der Zwangsarbeit könne man nur effektiv arbeiten, wenn man den Erfolg schon vorab verkünde. Denn das öffentliche Betonen der Missstände, so die Logik, würde zu viele weitere Baustellen offenbaren. Die stehen Usbekistan ohnehin bevor. „Wir wollen möglichst die ganze Landwirtschaft automatisieren“, sagt Arbeitsminister Kudbiev auch mit Blick auf die Zwangsarbeit. Dann beginnt sein nächster großer Job: „Wir werden für Millionen Usbeken neue Arbeit finden müssen.“