Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat vor Gerichten bereits etliche Fahrverbote für Diesel unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 erstritten – auch für Stuttgart. Foto:  

Das EU-Gericht in Luxemburg hat entschieden, dass die Emissionen auf der Straße nicht höher sein dürfen als auf dem Prüfstand. Damit könnten Fahrverbote für Euro-6-Diesel möglich werden. Das Urteil kann noch angefochten werden.

Stuttgart - Im Kampf für sauberere Luft haben die drei europäischen Metropolen Paris, Brüssel und Madrid erfolgreich gegen die Lockerung von Grenzwerten für Diesel der Abgasnorm Euro 6 geklagt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Urteil des EU-Gerichts in Luxemburg.

Was haben die Richter entschieden?

Nach Auffassung des Gerichts ist die EU-Kommission den Autoherstellern bei der Begrenzung des Stickstoffdioxidausstoßes von Euro-6-Dieselautos in unzulässiger Weise entgegenkommen. Die Behörde habe damit ihre Kompetenzen überschritten, so das Gericht. Nun muss die beanstandete Verordnung überarbeitet werden. Für die Besitzer von Euro-6-Dieseln, die bislang von den angekündigten Fahrverboten in deutschen Städten ausgenommen sind, soll sich zunächst nichts ändern. Das Gericht der Europäischen Union ist ein Gericht erster Instanz, das dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) nachgeordnet ist.

Worum geht es konkret?

Im Mittelpunkt des Streits steht die Einführung sogenannter RDE-Tests (Real Driving Emissions), bei denen der Schadstoffausstoß im Straßenbetrieb gemessen wird. Dabei sind die Stickoxidemissionen deutlich höher als bei den bisher üblichen Labortests, die unter praxisfernen Bedingungen abliefen. Aus diesem Grund wollte die EU-Kommission den für die Euro-6-Norm geltenden Grenzwert von höchstens 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer (mg/km) für eine Übergangszeit auf 168 mg/km und danach auf 120 mg/km ändern. Offiziell begründet wurde dieser Schritt mit dem Ausgleich statistischer und technischer Ungenauigkeiten bei der Umstellung des Messverfahrens.

Warum haben die Städte geklagt?

In Paris, Brüssel und Madrid gelten wegen zu hoher Stickoxidmesswerte bereits Fahrverbote für ältere Dieselkraftfahrzeuge. Die Städte befürchten, dass bei einer zu laschen Auslegung der Abgasvorschriften womöglich auch Fahrzeuge in Sperrzonen einfahren dürfen, die die gültigen Emissionsgrenzwerte nicht einhalten. Wenn die Autos mehr Stickoxide ausstoßen dürfen, macht es das für die Städte schwerer, die gesetzlichen Vorgaben zur Luftqualität einzuhalten. In Paris dürfen Dieselautos mit Erstzulassung vor 2001 und Benziner mit Baujahr vor 1997 in der Woche tagsüber nicht mehr überall fahren. In Brüssel gibt es seit Anfang des Jahres ein Fahrverbot im gesamten Großraum der Stadt für alte Diesel. Ähnlich sieht es in Madrid aus.

Was fordert das EU-Gericht konkret?

Gemäß dem aktuellen Urteil muss eine Verordnung, in der die beanstandeten Grenzwerte festgelegt wurden, neu beraten werden. Das Gericht hat die Kommission, das Europaparlament und den Rat dazu aufgefordert, neue Regeln festzulegen. Ob und wie sich die Grenzwerte am Ende verändern werden, ist noch offen.

Wann könnten eventuelle Änderungen wirksam werden?

Konkret ändert sich erst mal nichts. Die Richter geben der Kommission zwölf Monate Zeit, um die Grenzwerte abzusenken. Die Frist beginnt in zwei Monaten – falls die Kommission nicht Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) einlegt. „Mit dem Gerichtsurteil wird zunächst nur das Gesetzgebungsverfahren beanstandet“, heißt es beim ADAC. „Die Vorschriften zur Bestimmung von Stickoxidwerten bei Euro-6-Fahrzeugen im Realbetrieb müssen rechtlich einwandfrei geregelt werden“, fordert der Automobilclub.

Was sagen Umweltschützer?

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) geht davon aus, dass die Entscheidung des EU-Gerichts „weitreichende Folgen für zukünftige Gerichtsurteile“ nach sich ziehen dürfte – „über Musterklagen bis hin zu Klagen um Neuzulassungen und Verkaufsverbote“. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die vor Gerichten bereits etliche Fahrverbote für Diesel unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 erstritten hat, sieht sich bestätigt: „Wir bekommen dadurch Rückenwind für unsere Klagen zur Luftreinhaltung“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Auch Verbraucherklagen gegen Autohersteller bekämen nun bessere Chancen.

Drohen nun auch für Euro-6-Diesel Fahrverbote?

„Spätestens 2020 wird es in den besonders belasteten Städten auch Fahrverbote für Euro 6 geben“, prophezeit Resch. Verbraucher sollten nur Autos kaufen, „bei denen die Hersteller garantieren, dass sie den gültigen Grenzwert auch eins zu eins auf der Straße einhalten“. Der ADAC verlangt, dass auch eine Anpassung der Grenzwerte für RDE-Messungen nicht zulasten der jetzigen oder zukünftigen Halter von Euro-6-Fahrzeugen geschieht: Die Verbraucher müssen sich absolut darauf verlassen können, dass bereits gekaufte oder aktuell angebotene Euro-6-Fahrzeuge allen gesetzlichen Vorgaben entsprechen.

Was bedeutet das Urteil für Stuttgart?

Nach Einschätzung des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne) zeigt das Urteil, dass die Politik „nicht beliebig“ Grenzwerte verändern könne. „Grenzwerte müssen ernst genommen werden.“ Konkrete Auswirkungen auf den Luftreinhalteplan Stuttgart und die darin festgelegten Fahrverbote erwartet das Ministerium nicht. Die Fahrverbote gelten für Besitzer älterer Diesel bis einschließlich Euro 4 vom 1. Januar 2019 an und für Stuttgarter vom 1. April an. Hermanns Äußerungen lassen erkennen, was er vom Plan der Bundesregierung hält, den Stickstoffdioxid-Grenzwert für Außenluft von 40 auf 50 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel zu erhöhen. Darüber debattiert an diesem Freitag der Bundesrat.

Wie läuft die Umrüstung älterer Diesel?

Bei den Software-Updates, die den Stickoxidausstoß älterer Diesel – vor allem der Schadstoffklasse Euro 5 – verringern sollen, drohen erhebliche Verzögerungen. Bis zum Jahresende sollten nach Zusagen der deutschen Hersteller 5,3 Millionen Fahrzeuge umgerüstet werden. Bis dato sind es aber nur 3,75 Millionen, wie das Verkehrsministerium mitteilte. „Die Hersteller laufen damit Gefahr, ihr Versprechen zu brechen“, sagte Minister Andreas Scheuer (CSU).