Anna Prokein (rechts) betreut im Rockzipfel mit Unterstützung aktuell neun Kinder von Null bis drei Jahren betreut. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Dieses Urteil dürfte Tagesmütter aus dem ganzen Land interessieren. Die Stadt darf einer Stuttgarter Tagesmutter nicht untersagen, Betreuungspersonal anzustellen. Die Begründung wird mit Spannung erwartet.

Stuttgart/Mannheim - Nach mehr als vier Jahren hat die Tagesmutter Anna Prokein endlich Klarheit: Ihr Geschäftsmodell, Betreuungspersonal in ihrer Großtagespflege anzustellen, ist rechtskonform. Am Dienstagmorgen hat die Leiterin der Möhringer Großtagespflegestelle Rockzipfel im Stadtteil Sonnenberg von ihrer Anwältin die frohe Botschaft erfahren, dass das Verfahren gegen das Jugendamt der Stadt Stuttgart am Verwaltungsgerichtshof Mannheim gut ausgegangen ist.„Wir können bestätigen, dass die Tagesmutter den Rechtsstreit gewonnen hat“, sagt auch ein Sprecher des Verwaltungsgerichtshofs auf Anfrage. Die Urteilsbegründung liegt noch nicht vor, deshalb könne er keine weiteren Informationen geben, bis auf diese: Eine Revision hätten die Mannheimer Richter ausgeschlossen.

„Ich bin so glücklich. Das ist ein Riesenschritt für die Anerkennung unseres Berufs“, sagt Anna Prokein. Die Tagesmutter, die seit zehn Jahren in der Kindertagespflege tätigt ist, beschäftigt in der Großtagespflegestelle aktuell eine Kinderpflegerin in Vollzeit und eine Vertretungskraft mit 20 Stunden in der Woche. Eine weitere pädagogische Fachkraft sei aktuell in Elternzeit. Neun Kinder betreuten die Frauen dort fünf Tage die Woche, an vier Tagen ist bis 17 Uhr geöffnet, am Freitag bis 16 Uhr. Als der Konflikt mit dem Jugendamt losging, leitete die studierte Germanistin sogar noch eine weitere Großtagespflegestelle im Stuttgarter Osten. Diese gab sie damals auf.

Stadt kommentiert Urteil erst, wenn Begründung vorliegt

In dem Konflikt zwischen Stadt und Tagesmutter ging es dabei nie um die Qualität, sondern um den Umstand, ob Tagespflegepersonen selbstständig tätig sein müssen oder nicht. Das Jugendamt der Stadt Stuttgart als Aufsichtsbehörde untersagte Anna Prokein damals, eine weitere Tagesmutter zu beschäftigen. Ein „wesentliches Merkmal der Tagespflege“ sei das persönliche Betreuungsverhältnis zwischen der Tagespflegeperson und des betreuten Kindes, erklärt die zuständige Abteilungsleiterin Daniela Hörner die Sichtweise des Jugendamts. „Darin unterscheidet sich die Tagespflege von der Kindertageseinrichtung“, sagt Hörner. Ihr ist der Ausgang des Verfahrens bekannt. Sie will es aber erst kommentieren, wenn die Urteilsbegründung vorliegt.

Als „hoch spannend“ bezeichnet Melanie Popp, die Teamleiterin der Tagesmütter-Börse des Stuttgarter Caritasverbands, die Mannheimer Entscheidung. Schon lange würden sich die Großtagespflegestellen wünschen, Vertretungskräfte fest anstellen zu dürfen. „Das ist demnach nun offenbar rechtssicher möglich“, sagt Popp, die „viele Vorteile“ durch das Urteil erwartet. Sie interessiert nun vor allem eines: wie die Begründung der Richter genau lautet – und ob sich die Entscheidung nur auf die Großtagespflegestellen bezieht.

Laut Jugendamt gibt es aktuell rund 25 Großtagespflegestellen in Stuttgart. Nur eine soll offiziell mit Angestellten gearbeitet haben – dabei dürfte es sich um Anna Prokeins „Rockzipfel“ handeln. Doch auch in anderen Tagesgroßpflegestellen scheinen nicht immer ausschließlich Selbstständige tätig gewesen zu sein. Das Jugendamt bestätigt, von einem Fall zu wissen, bei dem die Deutsche Rentenversicherung aufgrund von Honorarverträgen das Thema Scheinselbstständigkeit geprüft habe.

Stadt kann Beschwerde einlegen, um Revision zu ermöglichen

Anna Prokein hat nach eigenen Angaben bisher keine Probleme mit der Deutschen Rentenversicherung – sie hat ja auch nur mit Angestellten gearbeitet. Ihre Betreuungskräfte seien alle qualifiziert, hätten aber kein Interesse an einer Selbstständigkeit, sagt die Tagesmutter. Ohne Anstellung hätte sie sie nicht gewinnen können. „Es gibt sonst keine vernünftige Vertretungslösung“, sagt Prokein, die viel Unterstützung erfahren hat – vor allem Tagesmütter aus Ludwigsburg hätten ihr zur Seite gestanden.

Ursprünglich hatte sie beim Verwaltungsgericht Stuttgart geklagt, das die Klage aber abwies, die Berufung jedoch beim Verwaltungsgerichtshof wegen der grundsätzlichen Bedeutung zuließ. Mit dem Jugendamt einigte sich die Tagesmutter zudem darauf, dass bis zur rechtlichen Klärung die Anstellungsverhältnisse bestehen bleiben dürfen.

Der Stadt Stuttgart bleibt nun nur noch ein Rechtsmittel: Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzulegen, um eine Revision zu ermöglichen. Ob dieser Schritt erwogen wird, ist unklar. Auch hierzu will man sich im Jugendamt erst äußern, wenn die Begründung vorliegt.