Die Vertreter der Kläger vor der Urteilsverkündung (von links): Klaus Dauderstädt, Bundesvorsitzender Beamtenbund, Rudolf Henke, Vorsitzender des Marburger Bundes, Andrea Kocsis, stellvertretende Vorsitzende von Verdi, Ilja Schulz, Präsident der Pilotenvereinigung Cockpit und Alexander Behrens, Vorsitzender des Vorstands der Flugbegleitergewerkschaft Ufo. Foto: dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat das Tarifeinheitsgesetz im Prinzip bestätigt. Doch muss der Gesetzgeber nachbessern, damit die Rechte der kleineren Gewerkschaften gewahrt werden, meint Matthias Schiermeyer.

Stuttgart - Die Popularität des vor zwei Jahren in Kraft getretenen Tarifeinheitsgesetzes wird auch mit dem Karlsruher Segen vermutlich nicht wachsen. Zu sperrig ist die Materie, zu komplex sind die Regeln, als dass ein Nicht-Jurist sie auf den ersten Blick durchdringen kann. Dabei greift dieses Gesetz in die Arbeitswelt ein wie kein anderes in der jüngeren Vergangenheit, was den jahrelangen erbitterten Streit zwischen Politik, Arbeitgebern, Gewerkschaften und Juristen erklärt.

Nahles blieb eine Klatsche erspart

Im Kern geht es darum: Wer hat bei kollidierenden Tarifverträgen das Sagen? Nur jene Gewerkschaft, die die Mehrheit der Mitglieder im Unternehmen stellt, während die kleinere Gewerkschaft den neuen Tarifvertrag lediglich „nachzeichnen“ darf? So will es die Bundesregierung. Das Bundesverfassungsgericht gibt ihr – im Prinzip – Recht. Das Gesetz ist weitgehend mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Niederlage bleibt der hauptverantwortlichen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) erspart. Doch Triumphgesten sollte sich die Bundesregierung verkneifen, weil der Gesetzgeber bis Ende 2018 nachbessern muss.

Es hatte sich schon während der Anhörung im Januar abgezeichnet, dass die Richter nicht gewillt waren, das Gesetz einfach aufzuhalten, um den Berufsgewerkschaften freie Hand zu lassen. Nun sind diese mit den Verfassungsbeschwerden wenn auch nicht gescheitert, so doch in ihrem Vorwärtsdrang gebremst worden. Die Bewertungen des Urteils gehen freilich weit auseinander: Ein Teil sieht die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht gesichert. Ein anderer Teil befürchtet jetzt erst recht, an den Rand gedrängt zu werden.

Dies kann man als Beleg dafür werten, dass das Verfassungsgericht sehr differenziert an die Sache gegangen ist. In Wahrheit hat es vor allem eines gemacht: den Arbeitsgerichten jede Menge Arbeit aufgebürdet. Diese werden in vielen Einzelfällen zu entscheiden haben, ob eine Gewerkschaft in einem Unternehmen in der Mehrheit ist, ob sie streiken darf und ob ihr Tarifvertrag gilt – dies auch noch verbunden mit den grundrechtlichen Problemen, die bereits im Urteil aufgezeigt werden.

Wenig vertrauenserweckend im Hinblick auf die Zukunft der Tarifeinheit ist auch der tiefe Riss, der selbst durch den ersten Senat des Verfassungsgerichts geht. Es kommt nicht oft vor, dass sich beteiligte Richter in einem Minderheitenvotum mit derartiger Klarheit von dem Urteil distanzieren, so wie in diesem Fall geschehen. Darin wird fast alles infrage gestellt, was die Senatsmehrheit für angemessen hält.

Demnach sei der Eingriff in die Tarifautonomie von erheblichem Gewicht, heißt es etwa, doch treffe der Gesetzgeber keine Vorkehrungen, um ihn zumutbar erscheinen zu lassen. Eine ganze Reihe von „Behauptungen“, die die Bundesregierung zur Verteidigung des Gesetzes vorgebracht hätte, stehe „auf tönernen Füßen“. Selbst das Urteil beruhe auf Einschätzung der sozialen Wirklichkeit, an denen Zweifel bestünden. Kurz: Das Sondervotum von zwei Verfassungsrichtern ist ein Totalverriss.

Ausgangspunkt der Tarifeinheit war die Absicht von Arbeitgebervereinigung und Gewerkschaftsbund, ihr Verhandlungskartell abzusichern. In der Zwischenzeit haben Berufsgewerkschaften die DGB-Organisationen vielerorts bei der Mitgliederzahl überholt. Auch da, wo sie in der Minderheit sind, werden sie sich nicht einfach verdrängen lassen. Vielmehr können sie sich zusammenschließen, um in die Mehrheit zu kommen. Karlsruhe hat den Konflikt somit lediglich an der Oberfläche beruhigt – tatsächlich werden Streiks weiterhin üblich sein:  in Bahn- und Luftverkehr, in den Krankenhäusern und vielen anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsfürsorge. Diese Streiks massiv einzudämmen, war das wesentliche Ziel der Bundesregierung. Es ist gut so, dass dies auch nach Auffassung des Verfassungsgericht nicht möglich ist.