Auf den Gutachter kommt es künftig an: Karin Milger, Vorsitzende Richterin des Achten Zivilsenat beim Bundesgerichtshof (BGH), hat das Urteil zu Mieter-Kündigungen wegen Eigenbedarfs gesprochen. Foto: dpa

Viele Mieter wehren sich gegen Eigenbedarfskündigungen vor Gericht. Wer sich im Kündigungsstreit auf Gesundheitsgefahren beruft, benötigt künftig einen Sachverständigen.

Karlsruhe - Gerichte müssen bei Eigenbedarfskündigungen durch den Vermieter deutlich intensiver prüfen als bisher. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Mittwoch beschlossen. Wir erklären, wie es zu diesem Urteil kam – und was es tatsächlich bedeutet.

Wie ist die Rechtslage?

Vermieter von Wohnraum können ihren Mietern nur kündigen, wen sie ein sogenanntes berechtigtes Interesse haben. Das ist in den meisten Fällen der Eigenbedarf. Trotz einer berechtigten Eigenbedarfskündigung können Mieter widersprechen. Sie müssen dann darauf verweisen, dass die Kündigung eine unzumutbare Härte für sie bedeutet. Sollten die Voraussetzungen der sogenannten Sozialklausel vorliegen, dürfen sie in der Wohnung bleiben.

Worum gingen die konkreten Fälle?

In einem Fall lebte die mehr als 80 Jahre alte Mieterin seit fast 50 Jahren in der Wohnung. Die Wohnung wurde von einem jungen Ehepaar gekauft, welches sie nach der Geburt des Kindes beziehen wollte. In einem anderen Fall hatten psychisch kranke Personen eine Doppelhaushälfte gemietet. Die Eigentümer wollten das Gebäude selbst bewohnen. Die Vorinstanzen gaben in einem Fall der alten Mieterin, im anderen Fall den Eigentümern der Doppelhaushälfte recht. Der BGH hob beide Entscheidungen auf und gab sie zur erneuten Prüfung an die Gerichte zurück.

Was sagen die Bundesrichter?

Die Vorsitzende Richterin des VIII. Zivilsenats betont im Urteil die große Verantwortung der Gerichte, wenn es um die Sozialklausel geht. Auf einem angespannten Wohnungsmarkt und mit zunehmend betagten und hochbetagten Mietern gewinne diese immer mehr an Bedeutung, so Karin Milger. Für die Gerichte bedeute dies, dass sie sich nicht auf „pauschale Erwägungen“ verlassen dürften. Die Abwägung müsse im Einzelfall erfolgen und dafür brauche man oft zwingend einen Gutachter.

Was ist eine unzumutbare Härte?

Das ist in jedem Fall ein Zusammenwirken von Gründen und Ereignissen. „Alter und lange Mietdauer allein begründen keine unzumutbare Härte“, sagte die Senatsvorsitzende in der Urteilsbegründung. Zusätzlich geprüft werden müssten zum Beispiel die Persönlichkeit der Betroffenen, deren körperliche Verfassung und das Umfeld. Was ein Umzug bedeute und wie er aufgenommen werden könnte, müsste durch einen Gutachter geprüft werden, wenn die Gefahr einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bestehe. „Sich alleine darauf zu berufen, reicht nicht aus“, so das Gericht. Neben einem ärztliche Attest brauche es ein Gutachten. Der Senat präzisiere damit seine Rechtsprechung.

Haben nun die Mieter oder die Vermieter gewonnen?

Das lässt sich so einfach nicht sagen. In einem Fall hatte die Vorinstanz der Mieterin recht gegeben, im anderen den Vermietern. Beide Urteile hat der BGH nun aufgehoben und zur neuen Entscheidung an eine andere Kammer der Landgerichte in Berlin und Halle zurück gegeben. In beiden Fällen hatten die Gerichte nach Ansicht des BGH nicht umfassend genug geprüft und auf einen Gutachter verzichtet gehabt.

Gilt das Urteil auch für andere Fälle?

Grundsätzlich gilt der Karlsruher Richterspruch nur in den beiden konkret am Mittwoch entschiedenen Fällen. Da der Bundesgerichtshof jedoch entschieden hat, dass „Gutachten regelmäßig von Amts wegen einzuholen sind“ wenn schwere Gesundheitsgefahren geltend gemacht werden, haben die Bundesrichter auch für alle anderen Fälle einen Standard gesetzt.