Der VI. Zivilsenat des BGH hält das Leben für absolut erhaltungswürdig. Foto: dpa

Ärzte haften grundsätzlich nicht mit Geld, wenn sie einen Patienten durch künstliche Ernährung länger als medizinisch sinnvoll am Leben erhalten. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden.

Karlsruhe - Ärzte können für eine künstliche Lebensverlängerung nicht haftbar gemacht werden. Das gilt auch dann, wenn sie ohne jeden medizinischen Sinn war. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in einem Grundsatzurteil entschieden. Zur Begründung erklärten die Richter, dass das Leben niemals als „Schaden“ eingestuft werden dürfe, auch wenn es leidvoll ist: „Das Urteil über den Wert menschlichen Lebens steht keinem Dritten zu“, sagte die Vorsitzende des VI. Zivilsenates, Vera von Pentz, bei der Urteilsverkündung.

Eine Klage auf Schmerzensgeld und Schadenersatz im Namen eines 2011 gestorbenen Demenzkranken wies das Gericht deshalb ab (Az. VI ZR 13/18). Den Prozess führte der in den USA lebende Sohn eines Mannes aus Bayern als Erbe. Er hält es für einen Behandlungsfehler des Hausarztes, dass sein kommunikations- und bewegungsunfähiger Vater ohne jede Aussicht auf Besserung jahrelang weiter per Magensonde ernährt wurde. In dem Fall hatte der Vater keine Patientenverfügung hinterlassen, aus der hervorgegangen wäre, welche Behandlung er sich wünschte. Der Mann konnte auch nicht mehr befragt werden. Ob er die Magensonde noch gewollt hätte, war unklar.

OLG München spricht dem Kläger 40 000 Euro zu

Das Oberlandesgericht (OLG) München war 2017 der Ansicht gewesen, dass der Arzt die Sondenernährung trotzdem nicht hätte weiterlaufen lassen dürfen, ohne die Situation mit dem bestellten Betreuer gründlich zu erörtern. Wegen verletzter Aufklärungspflichten sprachen die Richter dem Sohn damals 40 000 Euro Schmerzensgeld zu. Dagegen legte der Arzt mit Erfolg Revision ein. Auch der Sohn hatte die OLG-Entscheidung angefochten, um ein Grundsatzurteil herbeizuführen.

Ob der Hausarzt mit der Ernährung mittels Magensonde einen Fehler gemacht hat, ließ der BGH offen. Das höchste deutsche Zivilgericht erklärte vielmehr, dass das Leben im juristischen Sinne kein Schaden sein könne, welches eine Zahlungspflicht auslöse. „Das Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut, es ist absolut erhaltungswürdig. Aus diesem Grund verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen“, so die Senatsvorsitzende.

Zwar könne der Patient selbst sein eigenes Leben als lebensunwert erachten. Die Verfassungsordnung verbietet aber aller staatlichen Gewalt, ein solches Urteil über das Leben anderer Menschen zu treffen mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden. Schon deshalb, weil man gar nicht wissen könne, ob der Tod besser sein könne als das Leben: „Es entziehe sich menschlicher Erkenntnisfähigkeit, ob ein leidensbehaftetes Leben gegenüber dem Tod ein Nachteil ist,“ so die Senatsvorsitzende.

Behandlungskosten werden ebenso nicht erstattet

Den Ersatz der Behandlungskosten lehnte der Senat ebenfalls ab, da dieser Schadensposten nicht vom Schutzzweck der ärztlichen Behandlungspflichten umfasst sei. Hier gehe es gerade nicht um die Bewertung des Lebens, sondern darum, ob ein Arzt auch die Behandlungskosten infolge einer Pflichtverletzung zu tragen hat. Die ärztlichen Pflichten dienten aber nicht dazu, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben des Patienten verbunden seien, zu verhindern, so der BGH.

Das Problem ist der Rechtsprechung nicht neu. Prominent ist der so genannte „Röteln-Fall“, den der BGH bereits vor 36 Jahren entschieden hatte. Auch in der mündlichen Verhandlung des aktuellen Falls im März nahmen die Beteiligten darauf Bezug. Dabei ging es um eine während der Schwangerschaft an Röteln erkrankte Mutter, deren Kind dadurch eine Behinderung erlitten hatte. Weil ihr Arzt diese nicht in einem frühen Stadium erkannt und ihr damit die Möglichkeit zu einem Schwangerschaftsabbruch gegeben hatte, verlangte sie von ihm unter anderem im Namen des Kindes Schadensersatz für dessen Leben mit Behinderung. Auch damals entschied man sich dagegen, ein Leben als Schaden anzuerkennen. Der nun verhandelte Fall war jedoch der erste vor dem Bundesgerichtshof, bei dem sich diese Frage nicht zu Beginn, sondern am Ende des Lebens gestellt hat.

Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofes ist der Rechtsweg für den Kläger beendet. Allerdings gibt es noch die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde. Gegenüber der Fachzeitschrift „Legal Times Online“ kündigte der Anwalt des Klägers, Wolfgang Putz, an, sich diesen Schritt vorzubehalten. Zunächst gelte es allerdings die schriftliche Begründung des Urteils abzuwarten.