Das Urkorn Emmer wurde schon vor 12 000 Jahren angebaut. Foto: Warth

Wie steht es um der Deutschen wichtigstes Nahrungsmittel? Nicht so gut: Ein uraltes Handwerk droht sich in eine Industrie zu verwandeln. Um das zu verhindern, raten Experten Bauern, Bäckern und Verbrauchern sich auf die alten Sorten zu besinnen. Doch das geht noch nicht ohne Risiko.

Hohenheim - Die Hitze drückt, doch die Halme bleiben standhaft. Grasgrün wogen die filigranen Ähren bei jedem Lüftchen, das über das Versuchsfeld der Universität Hohenheim weht. Die Landesaatzuchtanstalt hat zum Getreide-Fachtag eingeladen und das Einkorn zeigt sich den Gästen von seiner besten Seite. Doch der Gruppe aus Bäckern, Landwirten und Müllern bleibt keine Schwäche verborgen: Die Halme etwa sind zu lang. Ein starker Wind, ein Platzregen genügen – schon knicken sie ein. Und dann die kleinen Ähren, die keinen ordentlichen Ertrag versprechen. Der Gastgeber Friedrich Longin von der Saatzuchtanstalt, nickt und sagt: „Da müssen wir noch mit ein paar Züchtungen nachhelfen.“

Die Gruppe stapft zum nächsten Feld, wo der Emmer wächst. Wieder wird die Wuchshöhe diskutiert, die Fülle der Ähre, die Anfälligkeit für Krankheiten. Der Schweiß rinnt, die Gruppe bleibt eisern stehen, stellt Fragen, notiert sich die Antworten. Hier, so scheint es, geht es um mehr als nur um die Ähre. Hier verbündet sich gerade eine ganze Zunft. Denn das uralte Handwerk der Brotherstellung ist bedroht.

Dabei wird in keinem Land mehr Brot gegessen als hierzulande: Die Männer im Schnitt 66 Kilo im Jahr, bei den Frauen sind es über das Jahr verteilt 55 Kilogramm an Brotscheiben. Doch immer seltener stammen diese aus einer Bäckerei, sondern von der Billig-Konkurrenz: Den Discountern und Backketten, die den alteingesessenen Bäckerbetrieben das Geschäft vermiesen. Und wenn’s den Bäckern schlecht geht, ergeht es den Müllern und Bauern nicht besser. Schon heute bedienen die deutschen Landwirte mit ihrem Getreide nur noch ein Drittel des Marktes.

Wer heute mit Brot verdienen will, braucht regionale Spezialitäten

Es braucht also eine Strategie, um die Kunden weg von den Backautomaten und zurück in die Bäckereien zu locken. Friedrich Longin hat so einen Plan: Zurück in die Vergangenheit – und zwar bis in die Steinzeit, als sich vor 12 000 Jahren im Nahen Osten die Menschen vom Wildgetreide Einkorn ernährten. Es entstanden die Kreuzungen Emmer und Dinkel, später dann Hart- und Weichweizen. Noch bis in das 19. Jahrhundert hinein wuchsen die alten Sorten auf den hiesigen Feldern – bis sie vom ertragreicheren Brotweizen verdrängt wurde.

Jetzt gilt es, diese Sorten wieder zurückzuholen. Erst aufs Feld, dann in die Bäckereien und schließlich auf den Teller. Wer heute mit Brot verdienen will, so heißt es in der Branche, muss sich mit regionalen Spezialitäten gegenüber der Massenware behaupten. Und was gibt es Spezielleres als Brot und Kuchen aus Urgetreide? Weshalb der Saatgutexperte Friedrich Longin am Fachtag vor Bäckern, Müllern und Bauern eifrig für die alten Sorten wirbt.

Doch das Publikum ist skeptisch. Das Urgetreide hat so seine Nachteile: Und damit ist nicht allein die mangelnde Standfestigkeit gemeint, die die Halme leicht knicken lässt. Hinzu kommt der niedrigere Ertrag und die aufwendigere Verarbeitung. Während Weizen nach dem Dreschen sofort weiterverarbeitet werden kann, muss bei Emmer und Einkorn erst die Spelze vom Korn getrennt werden. Am Ende, so sagen es selbst Zuchtexperten, bleiben von rund 100 geernteten Tonnen nur 60 Tonnen verwertbares Korn. Zwar lässt sich mit dem Einsatz von Pilzbekämpfungsmitteln oder Wachstumsreglern der Ertrag noch weiter steigern. Doch auch das kostet Zeit und Geld, mahnt der Landwirt Reinhard Hecker von der Erzeugergemeinschaft Kraichgau-Korn, der seit sechs Jahren die Ursorten anbaut. „Der Anbau ist daher nur rentabel, wenn die Landwirte einen Preisaufschlag erhalten.“

Wer täglich Brot aus Urgetreide isst, tut einiges für seine Augen

Den sind die Müller sogar durchaus bereit zu zahlen – wenn ihnen die Abnahme des Mehls aus Emmer und Einkorn durch die Bäcker gesichert ist. Doch die sind von der Verarbeitung der Ursorten auch nicht immer begeistert: Denn der Anteil an Klebereiweiß, der für die Elastizität des Teiges entscheidend ist, zeigt je nach Sorte und Anbaugebiet enorme Schwankungen. „Die klebrig-fließenden Teige erfordern viel handwerkliches Geschick“, sagt der Geschäftsführer des baden-württembergischen Müllerbundes Andreas Kofler. Und auch hier schlägt sich das am Ende im Preis nieder. Brötchen für unter 20 Cent wie sie beispielsweise im Supermarkt angeboten werden, wird es dann nicht mehr geben.

Man muss eben die Nachteile zu ihrem Vorteil ausbauen, lautet daher der Rat von Katrin Lehmann von der Marktgesellschaft mbH der Naturland Betriebe: „Denn die Chancen von Urgetreideprodukten auf dem Markt stehen nicht einmal so schlecht.“ Für diese Erkenntnis ist Lehmann ist quer durch Deutschland gereist, bis in die Schweiz und nach Österreich – um herauszufinden, wie gut sich die alten Sorten verkaufen: „Die aktuellen Trends nach Natürlichkeit und Regionalität unterstützen die Vermarktung von den Produkten aus diesen Getreidearten“, lautet ihr Fazit. Nur: Man muss diese Vorteile auch dem Kunden kenntlich machen. „Es ist wichtig, den Mehrwert zu betonen, um den Bekanntheitsgrad weiter zu steigern und auch den Aufpreis zu erklären.“

Experten wie der Lebensmittelwissenschaftler Jochen Ziegler von der Uni Hohenheim setzen dabei auf das wachsende Gesundheitsbewusstsein der Deutschen. Urweizensorten sind nicht nur reich an Mineralstoffen, Vitaminen und Spurenelementen, „sie enthalten auch eine erhöhte Konzentration von Lutein“, sagt Ziegler. Zehnmal mehr sogar als der normale Brotweizen. Lutein schützt die Netzhaut vor energiereicher UV-Strahlung. Wer also täglich Brot aus Urgetreide isst, tut auch einiges für seine Augen. Ziegler formuliert es mutiger: „Vor allem die altersbedingte Makulardegeneration – also das Erblinden von alten Menschen –, kann durch die erhöhte Aufnahme von Lutein verhindert werden.“ Immerhin beim Dinkel geht diese Rechnung auf: Das Getreide, das ebenfalls zu den Ursorten zählt, hat an Beliebtheit gewonnen. „Der Dinkelanbau wurde 2015 stark ausgebaut, somit ist zumindest im konventionellen Landbau eine große Ernte und eine gute Versorgung zu erwarten“, sagt Longin. Jetzt müsse es eben auch so beim Emmer und Einkorn laufen.

Am Spätnachmittag macht sich die Gruppe vom Acker. Man notiert, man diskutiert, schließt Kontakte. Friedrich Longin ist zufrieden. Bald ist er wieder auf dem Feld unterwegs. Ein Agrarunternehmen bei Ulm lädt zum Tag der offenen Tür. Da soll Longin ein bisschen was über die Urgetreidesorten erzählen. Der Plan beginnt zu reifen.

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