Was wächst hier, was nicht? Die Ludwigsburger Stattgärtner lernen jedes Jahr dazu. Foto: factum/Granville

So richtig urban ist der Garten in der Eglosheimer Hirschstraße nicht gelegen – Urban Gardening wird dort trotzdem perfekt praktiziert. Allerdings wünschen sich die Gärtner Verstärkung, es geht ja nicht nur ums Säen und Ernten.

Ludwigsburg - Die Kohlrabi sehen wirklich gut aus. Stabile Blätter, nicht zu üppig. Als ob sie sich gut eingelebt haben im Freien. Nicht mehr lange, dann dürfen auch die Roten Beete raus ins Freie, die an diesem Maitag noch den Schutz des wärmenden Gewächshauses zum Wachsen brauchen. Auch die Lauchzwiebeln machen einen properen Eindruck, und aus den jungen Rettichen wird bestimmt eine spitzen Truppe. Wenn das Grünzeug so weiter gedeiht, wird das Gartenjahr gewiss ein gutes. Wobei, in dem Garten, der sich in der Hirschbergstraße in Eglosheim verbirgt, geht es nicht so sehr um die Gemüsemasse, es geht um ein Prinzip. Das Gartenjahr wird also schon allein deshalb ein gutes werden, weil es den Garten überhaupt gibt.

Pflanzen auf einem Parkhaus oder in einem Bahnhof

Noch toller allerdings wäre es, wenn der Garten mehr Gärtner hätte. Aus acht Ludwigsburgern besteht die Gruppe aktuell, aber Grün und Ideen gibt es für, grob überschlagen: viel mehr. Wir wünschen uns dringend Verstärkung“, sagt Valerie Nasser, die das Urban-Gardening-Projekt in der Hirschbergstraße mitgegründet hat.

Gut, kann man sagen, so richtig urban ist Eglosheim halt nicht. Da kann man auch die Erde im Gärtchen daheim umgraben. Die Gründer waren anfangs selbst etwas enttäuscht, dass ihre Insel nicht mitten in der Stadt liegt. Auf dem Dach eines Parkhauses zum Beispiel wie in Stuttgart, oder mitten in der Altstadt wie in Herrenberg oder in Esslingen, wie am ehemaligen Tälesbahnhof in Geislingen.

Aber zum einen waren die Ludwigsburger Pioniere froh, dass sie auf dem städtischen Grundstück, auf dem sich einst ein Abenteuersielplatz befand, überhaupt eine Bleibe gefunden haben. Die Fensterbänke in Valerie Nassers Wohngemeinschaft und der Hof des dazugehörigen Hauses wucherten bereits zu mit Bohnen, Gurken, Zucchini und Mais, weil die Samen in Töpfe gesteckt worden waren, lange bevor im Sommer 2013 endlich der Garten gefunden war. Und, dies zum andern, haben die Pioniere inzwischen gelernt, dass sich die Absichten des urbanen Gärtnerns auch auf einem Grundstück verwirklichen lassen, das, na ja, etwas ländlicher gelegen ist.

Alles ist möglich – wenn man will

Als da wäre das Gärtnern als solches: Kohlrabi, Gelbe Rüben, Pastinaken – kennt man alles, aber wächst das auch hier? Und wenn ja, wie? Valerie Nasser wird nicht vergessen, wie sie um das Überleben ihres Salbeis gebangt hat. Erst: Wird das Samenkorn keimen. Dann: Wird das junge Pflänzchen die Vereinzelung verkraften. Weiter: Wird es den Schritt aus dem Gewächshaus ins Freibeet packen. Schließlich: Übersteht es die Hitze der Hochsommersonne und den Frost des strengen Winters. Also: Der Salbei hat sich prächtig entwickelt, und Valerie Nasser, die Lehrerin, hat eine neue Form der Geduld kennen gelernt – und eine tiefe Ahnung vom wahren Wert von Lebensmitteln bekommen.

Was sich im Garten in der Hirschstraße auch bestens praktizieren lässt: das gemeinsame Lernen. Eine ungenutzte Wiese in einen fruchtenden Acker verwandeln – kann funktionieren, auch wenn man vorher keine Ahnung hat. Europaletten zu stabilen Hochbeeten vereinen– wozu gibt es Videoanleitungen im Internet. Aus billigen Sperrholzplatten eine funktionale Outdoorküche zimmern – nun, die Hütte in der Hirschstraße steht, obwohl unter den Gärtnern kein Schreiner ist. Nicht nur die Früchte der eigenen Arbeit werden dort bisweilen gesellig zubereitet. Auch Kochaktionen mit Lebensmittelretternfinden darin statt. Was – man merkt es – eine weitere Absicht der urbanen Gärtner erfüllt: die Verbesserung der Welt. Wer mag, kann mit den Weltverbesserern von Eglosheim auch Plastikflaschen zu Blumentöpfen machen, im Jargon Upcycling, ein Haus besichtigen, das aus Abfällen gebaut wurde, auch bekannt als Earthship, oder einfach Marmelade aus eigenen Beeren kochen.

Die Kleingärtner sind ein bisschen neidisch

Valerie Nasser zum Beispiel führt ihre Schüler bei Klassenausflügen nicht mehr nach, sagen wir Tripsdrill, sondern in die Hirschstraße. Einen öffentlichen Ort zu schaffen, wo Wissen vermehrt und weiter gegeben werde, das sei einfach schön, sagt Ines Leininger, die, obgleich sie mit ihrer Familie inzwischen auch ein eigenes Stückle bewirtschaftet, noch immer Teil des Gemeinschaftsprojekts ist.

Der oberste Kleingärtner von Deutschland, Peter Paschke, klingt etwas verschnupft, wenn er sagt: „Was heute unter dem Namen ,Urban Gardening’ als innovatives Stadtentwicklungskonzept gefeiert wird, machen wir seit über 200 Jahren.“ Mit „wir“ meint Paschke den Bundesverband Deutscher Gartenfreunde, dessen Präsident er ist und als solcher wünscht er sich, dass möglichst vielen Menschen „die Bedeutung des Kleingartens für das Wohlbefinden von Mensch und Natur in Stadt und Land“ bewusst wird. Am besten am Tag des Gartens, bei dem an diesem Sonntag mehr als 14 000 Kleingärtnervereine „zum Blick über den Gartenzaun“ einladen.

Hauptsache Grün

Allein der Umstand, dass es zwischen den Parzellen einen Zaun gibt, belegt, dass Kleingärtner und urbane Gärtner nicht wirklich eng miteinander verbunden sind. Auch die Tatsache, dass die Eglosheimer Gärtner ihr Projekt „Stattgarten“ genannt haben, spricht für sich. Die Soziologin Christa Müller formuliert es so: „Die Protagonisten der neuen Gärten wollen mit der Stadt und der umgebenden Nachbarschaft kommunizieren und eigene Beiträge zu einer nachhaltigen Quartiersentwicklung leisten.“

Aber vielleicht ist das nicht ganz so wichtig. Wichtiger ist wahrscheinlich, dass es möglichst viel Grün in der Stadt gibt. Weshalb es womöglich auch nicht ganz so betrüblich ist, dass der Ludwigsburger Stattgarten in der Eglosheimer Hirschstraße blüht und nicht – nur als Beispiel – auf dem Akademiehof.

Grün so weit das Auge reicht

Kontakt
Wer mit den Ludwigsburger Stattgärtnern Kontakt aufnehmen will, kann dies via Facebook tun www.facebook.com/stattgartenlb oder per Mail: gemeinschaftsgartenlb@googlemail.com. Einfach in der Hirschstraße 24 vorbeigehen geht natürlich auch. Ein Schild zeigt an, ob jemand da ist.

Begriff
Urbane Gemeinschaftsgärten haben viele Namen und unterschiedliche Formen. Dazu zählen unter anderem interkulturelle Gärten, Nachbarschaftsgärten, Stadtteilgärten, Selbsternteprojekte. Eine Übersicht über viele Projekte gibt es unter https://anstiftung.de/urbane-gaerten/gaerten-im-ueberblick.

Eindrücke
In der Orangerie des Blühenden Barocks widmet sich aktuell eine Ausstellung dem Urban Gardening. Die Floristmeisterin Julia Bürkle-Gröninger hat Balkon- und Gemüsepflanzen in Szene gesetzt. Geöffnet ist täglich von 9 bis 18 Uhr, der Besuch ist mit der Eintrittskarte in die Gartenanlage möglich.