Wenn die Neugier über die Scheu siegt: Eine Eule, die sich eigentlich nur in der Dämmerung zeigt, visiert die Beobachter mit einem Auge an. Foto: Torsten Schöll

Der 67-jährige Naturschutzwart Günter Künkele kennt aus Bad Urach-Seeburg das Biosphärengebiet Schwäbische Alb wie kein Zweiter – und es macht ihm zunehmend Sorgen.

Bad Urach - Oben, am Waldsaum hinter dem Gestütshof in Marbach, verharren wir einige Minuten ganz still vor einer hohen Buche, in der sich unterhalb der Krone eine natürliche Baumhöhlung gebildet hat. Günter Künkele pfeift ein wenig durch die Zähne und weist in die Höhe. Erst ist nichts zu erkennen, dann eine kaum wahrnehmbare Bewegung. Noch ein leiser Pfiff, und die Neugier der Eule siegt über ihre Scheu. Der Vogel, der sich eigentlich nur in der Dämmerung zeigt, dreht den Kopf zur Hälfte aus der Höhlung und visiert uns mit einem Auge an. „Das ist ein brütender Waldkauz“, erklärt der Naturschutzwart aus Hengen mit gedämpfter Stimme. Will man einen solchen Vogel bei Tag sehen, müsse man viel Geduld haben, gut beobachten können und ständig draußen sein.

Das ist der 67-jährige Günter Künkele schon seit seiner Jugend. Er stammt aus einer Steinbrecher- und Landwirte-Familie aus Seeburg bei Bad Urach und ist mit und in der Natur der Schwäbischen Alb aufgewachsen. Heute zählt „sein Revier“ zum Biosphärengebiet Schwäbische Alb, und er ist vermutlich der intimste Kenner des Schutzgebiets. Er war es auch, der als damaliger Vorsitzender des Bundes Naturschutz Alb-Neckar (BNAN) 2002 bei den zuständigen Stellen den Antrag einreichte, den Truppenübungsplatz Münsingen im Sinne des Naturschutzgesetzes sicherzustellen, sobald das Militär weg ist. Damit war er früher dran als alle anderen, früher vor allem als die Behörden, die darüber nicht nur erfreut waren. „Damit fiel quasi der Startschuss für das spätere Biosphärengebiet“, sagt Künkele nicht ohne Stolz.

Günter Künkele hat nie einer Partei angehört

Der ehemalige Grund- und Hauptschullehrer ist ein Querdenker im besten Sinne. Er hat nie einer Partei angehört. Nur so kann er, der bei Wind und Wetter mit seiner Kamera im Biosphärengebiet unterwegs ist, auch dort agieren, wo es wehtut. „Will man effektiv Naturschutz betreiben, muss man die Landschaft kennen“, sagt er. Womit er auch sagen will, dass leider nicht alle, die von Amts wegen damit befasst sind, solche Kenntnisse besitzen: Fest angestellte Ranger sucht man beispielsweise bis heute im Biosphärengebiet vergebens.

Günter Künkele setzt sich für den Naturschutz auf der Schwäbischen Alb ein. Foto: Torsten Schöll
Standortwechsel: Unterhalb des Hirnkopfs im Baachtal nördlich des Truppenübungsplatzes befindet sich eine „Perle des Biosphärengebiets“, wie der BNAN ein Projekt zum Schutz besonders erhaltenswerter, kleinräumiger Biotope nennt. Hier gelang dem Verein, was er an weiteren Stellen in der Pflegezone des Schutzgebiets fortführen will: dass im Biosphärengebiet der Naturschutzgedanke durch aktive Pflegemaßnahmen umgesetzt wird. „Der Hirnkopf ist vulkanischen Ursprungs“, erklärt Künkele, dem für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde. Der wasserführende Basalttuff sorgt hier für einen für die Alb ungewöhnlichen Wasserreichtum mit entsprechender Fauna und Flora. „Hier wächst zum Beispiel die besonders gefährdete Trollblume“, sagt Künkele. Und dann sprudelt es aus ihm heraus: „Bei den offiziellen Akteuren im Biosphärengebiet – Kommunen, Behörden, Verwaltung – geht in Sachen Naturschutz administrativ einiges, aber operativ fast null.“ Soll heißen: Worum sich engagierte Bürger wie Günter Künkele kümmern, müsste sich eigentlich die Verwaltung des Biosphärengebiets respektive Kommunen und Landkreise selbst verdient machen. Meist stünden dort aber touristische Interessen und die Vermarktung des Labels Biosphärengebiet im Vordergrund.

Mopeds im Biosphärengebiet?

„Wenn die Goldammer aus einem Revier verschwindet, juckt das niemand, wenn Bad Urach aber rückläufige Übernachtungszahlen hat, wird sofort gehandelt“, sagt der Naturschützer verärgert. Als Beispiel nennt er eine Veranstaltung, die sich „Dettinger Frühlingserwachen“ nennt und die als Höhepunkt den „4. Dettinger Moped-Tag“ anpreist – auf Plakaten mit dem Biosphärengebiet-Label. „Eine Ausfahrt ab 12 Uhr auf kleinen Straßen mit Charme durch die Ermstäler Streuobstwiesen runden das Angebot ab“, heißt es werbewirksam. Dass lärmende Mopeds dem Schutzgebot des Biosphärengebiets widersprechen könnten, scheint den Veranstaltern nicht in den Sinn gekommen zu sein. „Wir müssen verhindern, dass sich das Premiumgebiet mit der Zeit als Mogelpackung entpuppt“, schreibt Künkele in seinem jüngsten Buch. Es ist das achte zur Fauna und Flora der Schwäbischen Alb, das der streitbare Pensionär geschrieben hat. Die zunehmende und umfassende Ökonomisierung des Naturschutzes bringt ihn auf die Palme. „Vor 14 Jahren bin ich ein zweites Mal geboren worden“, erzählt Künkele. Damals wurde der Lehrer am Herzen notoperiert und überlebt. Danach hat er begonnen, Bücher über die Alb zu schreiben und zu fotografieren. Das half ihm, physisch und psychisch wieder auf die Beine zu kommen. Er intensivierte seine Streifzüge durch die Natur – und entdeckte neben vielem Schönen eben auch so manches, was seiner Ansicht nach falsch läuft. „Wenn entlang der Wanderwege die bunten Hochstaudenbestände abgemäht werden, damit es sich besser gehen lässt, hat das mit Naturschutz nichts zu tun“, sagt er. Saug- und Blühhorizonte für Insekten würden vernichtet und, nebenbei, den Besuchern ein Erlebnis vorenthalten.

Der Wasserfallsteig sei zum Rummelplatz geworden, meint Künkele

In diesem Sinne kritisiert er den Hype um Premiumwanderwege scharf: „Es ist wie beim Zauberlehrling: Die Geister, die man rief, wird man nicht mehr los.“ Mittlerweile tummeln sich an „Deutschlands schönstem Wanderweg“, am Wasserfallsteig, an Sonntagen Tausende. „Das ist ein Rummelplatz geworden“, sagt Künkele. Nachhaltiger Tourismus sehe anders aus. Mit den zunehmenden Besucherströmen wüchsen nicht nur die Parkplätze im Ermstal, sondern auch die Müllberge, betont er. Auch der Straßensicherheit musste die Natur im Biosphärengebiet schon Tribut zollen. Weil im Karst naturbedingt Steinschlaggefahr herrsche, erklärt der Naturschutzwart, gebe es, wie jüngst an der Wittlinger Steige, zunehmend Felssprengungen als Sicherheitsmaßnahme. „Bei denen geht es dann auch Fledermäusen an den Kragen“, so Künkele. „Das ist ein Verstoß gegen das Tötungsverbot geschützter Arten.“

Das Biosphärengebiet gilt gleichwohl als Erfolgsgeschichte, vor allem aus ökonomischer Sicht. Kein Wunder also, dass mittlerweile 20 weitere Kommunen Schlange stehen, um Teil des Schutzgebiets zu werden. Künkele fordert deshalb, dass künftig mindestens fünf statt nur drei Prozent des Gebiets als Kernzone ausgewiesen werden, in der die Natur machen darf, was sie will. Und auch dann müsse vor allem in der sogenannten Pflegezone, die bisher 42 Prozent des Gebiets umfasst, gehandelt werden. Die Evaluierung des Biosphärengebiets Schwäbische Alb durch die Unesco zum Zehn-Jahr-Jubiläum 2019 erwartet Künkele mit Spannung: „Wenn es dann die Gelbe Karte gibt, tut sich vielleicht etwas.“