Der Kampf in Hongkongs Straßen wird immer brutaler. Foto: dpa

Anhaltende Unruhen bestimmen das öffentliche Leben in Hongkong. Besonders die Gewaltexzesse des Polizeiapparates sind erschreckend. Eine Deutsche erlebt die Gewalt vor Ort – und sieht das Bild der Stadt durch die Medien verfälscht.

Hongkong - Die Situation in Hongkong ist weiterhin sehr angespannt. Die anhaltenden Proteste und die damit verbundenen Reaktionen der Polizei lassen in der Metropole am südchinesischen Meer keine Ruhe einkehren. Sandra Berger ist deutsche Staatsbürgerin, lebt und arbeitet aber mittlerweile seit knapp zehn Jahren in Hongkong. Ihren richtigen Namen möchte die 52-Jährige nicht in der Zeitung lesen – zu groß ist ihre Scheu vor möglichen Schwierigkeiten mit ihrem Arbeitgeber. „Mehrere Unternehmen haben Mitarbeitern wegen ihren Äußerungen oder ihrer Positionierung im bestehenden Konflikt zwischen Aktivisten und Staat gekündigt“, sagt Berger im Gespräch mit unserer Zeitung.

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Die aktuelle Lage ist das bestimmende Gesprächsthema unter den Bewohnern. Welche Straßenzüge sind heute gesperrt? Wann fährt die letzte Bahn, bevor die Polizei die U-Bahn-Stationen sperrt? Bekomme ich noch ein Taxi, das mich sicher nach Hause bringt? Die massiven Einschränkungen des öffentlichen Lebens seien überall spürbar: viele Veranstaltungen würden abgesagt, Restaurants und Geschäfte hätten ihre Öffnungszeiten beschränkt, die Bahnen würden an Protesttagen nur noch eingeschränkt verkehren. Wegen den Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr erlebe die Stadt jeden Tag aufs Neue einen Verkehrsinfarkt. Zudem nehme der Vandalismus vor Ort überhand. Die Zerstörungswut mehrerer radikaler Aktivisten richtet sich gegen öffentliche Einrichtungen, beispielsweise seien U-Bahn-Stationen komplett verwüstet worden.

Polizeigewalt gegen Demonstranten

Das Schlimmste sei aber die willkürliche Polizeigewalt gegen die Demonstranten, sagt Berger. Einige Szenen würden an einen Polizeistaat erinnern, allein die falsche Kleidung zu tragen sei schon verdächtig. „Ich war in einer Bahn-Station und eine Gruppe dunkel gekleideter junger Studenten lief an mir vorbei. Plötzlich stürzten sich sechs Polizeibeamte auf die Jugendlichen und begannen ohne Vorwarnung, mit ihren Knüppeln auf sie einzuschlagen. Dieser Gewaltausbruch war beängstigend“, schildert die Deutsche ihr Erlebnis.

Auch unbeteiligte Passanten könnten zufällig in brenzlige Situationen geraten. „Eine Freundin war auf dem Heimweg und nur etwa 50 Meter von ihrer Wohnung entfernt. Auf den letzten Metern musste sie eine Straßensperre passieren. Ein Polizist trat ihr entgegen und schrie ihr wütend ins Gesicht, sie solle sich sofort entfernen. Als sie ihm klarmachen wollte, dass sie im Begriff war, ihre Wohnung zu betreten, drohte er sie zu verhaften.“

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Die Bevölkerung könne nicht verstehen, warum die Regierung diese Gewaltexzesse ihres Polizeiapparates dulde. „Zu sehen, was hier passiert ist sehr belastend. Die Leute sind sehr wütend, weil die Regierung die willkürliche Polizeigewalt ignoriert und nicht einschreitet.“ Die anfangs friedliche Stimmung weiche der Frustration. Die Unterstützung der Aktivisten innerhalb der Bevölkerung sei aber immer noch hoch, bestätigt die 52-Jährige. „Die Menschen hier verstehen, was die Protestbewegung antreibt. Festlandchina versucht den Einfluss auf Hongkong immer weiter auszubauen, und die Aktivisten stellen sich dem Staat entgegen.“ Viele Einwohner hätten Angst vor der Zeit ab 2047, wenn das Gebiet seinen Status als Sonderverwaltungszone offiziell verlieren soll und die chinesische Führung übernimmt. Die Folgen könne niemand abschätzen, sagt Berger.

Die Forderungen der Demonstranten

Mit der Rücknahme des umstrittenen Auslieferungsgesetzes nach Festlandchina hat Carrie Lam, die Regierungschefin der chinesischen Sonderverwaltungszone, eine der fünf Forderungen der Aktivisten erfüllt, die vier weiteren Forderungen lauten: ein Rücktritt der bestehenden Regierung und die Möglichkeit einer freien Wahl. Eine unabhängige Untersuchung der Gewaltexzesse der Polizei aber auch der Gewalttaten radikaler Aktivisten. Die Regierung muss aufhören, die Proteste als Krawalle zu bezeichnen und alle Menschen freilassen, die in diesem Zusammenhang festgenommen wurden. Bevor nicht ausnahmslos alle Forderungen erfüllt sind, wollen die Aktivisten den Protest nicht stoppen.

Hongkong ist keine No-Go-Area

Trotz dieser beängstigenden Szenen, sei Hongkong keine No-Go-Area. „Die Medien tragen ein verfälschtes Bild in die Welt hinaus, das Leben in der Stadt ist nicht gefährlich, wenn man sich vorausschauend verhält“, stellt sie klar. In jedem Falle sollten Gebiete, in denen Proteste angekündigt sind, gemieden werden. Die Aktivisten würden die betreffenden Orte vorher publik machen, die Informationen würden sich anschließend durch soziale Medien oder durch Mundpropaganda verbreiten.