Im Gazastreifen kam es am Freitag zu Unruhen. Foto: AP

Es ist der Tag der Trauer: Nach dem blutigen Freitag am Grenzzaun zu Israel beerdigen die Palästinenser im Gazastreifen ihre Opfer. In den Krankenhäusern mussten noch am Samstag Hunderte Verletzte behandelt werden.

Ramallah/Gaza - Die Unruhen in Gaza schüren international Sorgen vor einer neuen Eskalation der Gewalt im Heiligen Land. UN-Generalsekretär António Guterres forderte „unabhängige und transparente Ermittlungen“ zu den Vorfällen vom Freitag. Bei Massenprotesten der Palästinenser an der Grenze zu Israel waren 15 Menschen von israelischen Soldaten getötet und Hunderte verletzt worden. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas rief einen Tag der Trauer aus. Noch am Samstag sollten die Toten zu Grabe getragen werden.

Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden am Freitag mindestens 15 Palästinenser während des „Marschs der Rückkehr“ von israelischen Soldaten erschossen oder durch Panzergranaten getötet. Mehr als 1400 wurden verletzt, die meisten durch Tränengas.

Nach palästinensischen Medienberichten waren mehr als 20 000 Menschen zu dem Marsch an der Grenze zu Israel gekommen. Die radikal-islamische Hamas wollte mit der Aktion ihren Anspruch auf ein „Recht auf Rückkehr“ für palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen in das Gebiet des heutigen Israels untermauern. Israel lehnt eine Rückkehr in das eigene Staatsgebiet ab.

Gewalteskalation in der Nacht zum Karsamstag

Deutschland rief am Samstag alle Beteiligten zu Besonnenheit auf. Die Bundesregierung sei wegen der Zusammenstöße „äußerst besorgt“, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes mit. „Wir rufen die Beteiligten dringend dazu auf, alles zu unterlassen, was eine weitere Eskalation hervorrufen und erneut Menschen gefährden würde.“

Der UN-Sicherheitsrat trat wegen der Gewalteskalation in der Nacht zum Karsamstag in New York zusammen. Die Vereinten Nationen fürchteten, dass sich die Situation in Gaza in den kommenden Tagen verschlimmern könnte, sagte der stellvertretende Untergeneralsekretär für politische Angelegenheiten, Tayé-Brook Zerihoun, in New York. Er ermahnte Israel zur Aufrechterhaltung seiner Verantwortung unter humanitärem Recht. Tödliche Gewalt dürfe nur als letztes Mittel angewandt werden. Zivilisten dürften nicht zum Ziel werden, vor allem keine Kinder, sagte er. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums war einer der Toten erst 16 Jahre alt.

UN-Chef Guterres rief die Beteiligten auf, auf jegliche Handlungen zu verzichten, die zu weiteren Todesfällen führen oder die Zivilbevölkerung gefährden könnten. Die Tragödie vom Freitag zeige die Dringlichkeit, mit der der Friedensprozess im Nahen Osten wiederbelebt werden müsse, um es Palästinensern und Israelis zu ermöglichen, in Frieden und Sicherheit als Nachbarn zu leben.

Ägypten verurteilt „den übermäßigen Einsatz von Gewalt“

Der palästinensische UN-Botschafter Rijad Mansur sagte, sein Land betrachte die Handlungsweise Israels als „ein riesiges Massaker gegen unser Volk“. Ägypten verurteilte „den übermäßigen Einsatz von Gewalt“ gegen „friedliche Märsche“ der Palästinenser scharf. In einer Erklärung betonte das ägyptische Außenministerium in Kairo zugleich das Recht der Palästinenser, einen eigenen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt zu gründen.

Auch der Iran kritisierte die Gewalteskalation. „Zionistische (israelische) Tyrannen haben friedlich demonstrierende Palästinenser, deren Land sie gestohlen haben, ermordet“, twitterte Außenminister Mohamed Dschawad Sarif. Iran unterstützt die radikal-islamische Hamas in Gaza und betrachtet Israel als seinen Erzfeind.

Israel warf der im Gazastreifen herrschenden Hamas dagegen eine gezielte Provokation vor. „Was wir gestern gesehen haben, war ein organisierter Terrorakt“, sagte der israelische Armeesprecher Ronen Manelis. Nach seinen Angaben waren alle Todesopfer Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren. „Die große Mehrheit von ihnen kennen wir als Terroraktivisten“, sagte Manelis. Insgesamt hätten an dem Marsch rund 30 000 Palästinenser teilgenommen, die große Mehrheit davon Frauen und Kinder. Doch nur wenige Tausend seien bis zum Grenzzaun vorgedrungen.

Militärsprecher rechtfertigt Einsatz gegen Demonstranten

Der Militärsprecher warf der Hamas-Führung vor, auf zynische Weise Frauen und Kinder zu gefährden. Man könne keinesfalls von einer friedlichen Demonstration an der Gaza-Grenze sprechen. Viele Palästinenser hätten „pure Gewalt“ eingesetzt und Soldaten mit Steinen und Brandsätzen beworfen, Reifen in Brand gesetzt und versucht, den Grenzzaun zu beschädigen. Es habe auch Versuche gegeben, Raketen auf Israel abzufeuern. Nur aktive Gewalttäter seien getötet worden, keine friedlichen Demonstranten, betonte er.

Der Nahost-Experte Marc Frings sieht nun die Möglichkeit einer weiteren Eskalation in den Palästinensergebieten. „Das ist die Gefahr, dass dies nur der Anfang einer Welle von Unruhen ist“, sagte der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah der Deutschen Presse-Agentur. „Uns steht bis Mitte Mai eine Phase der absoluten Unsicherheit bevor.“ Die Frage sei, ob es etwa die radikal-islamische Hamas schaffe, weitere Unruhen anzuzetteln. Der Schock über die hohe Zahl der Toten könne auch die Menschen im Westjordanland auf die Straßen treiben.

Die Proteste im Gazastreifen sollen bis zum 15. Mai dauern. Anlass sind die Feiern zum 70. Jahrestag der Gründung Israels. Die Palästinenser begehen den 15. Mai als Nakba-Tag (Tag der Katastrophe), weil im ersten Nahost-Krieg 1948 rund 700 000 Palästinenser flohen oder vertrieben wurden. Am 14. Mai wollen die USA zudem die US-Botschaft in Jerusalem eröffnen.