Angehende Studierende frischen ihre Mathekenntnisse am Mint-Kolleg der Uni Stuttgart auf – vor Corona noch ohne Abstand. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Uni Stuttgart will ihre Abbrecherquote senken. Bei Studienanfängern fragt sie Mathe aus der Mittelstufe ab. In 45 Minuten dürfen die Erstsemester sich und ihren Dozenten zeigen, was sie draufhaben.

Stuttgart - Die Uni Stuttgart will ihre Abbrecherquoten senken. Denn der Schwund bei den Studierenden in Mathe- und Technikfächern sei leider nach wie vor da, so Hansgeorg Binz, Prorektor für Lehre und Weiterbildung. Als besonderer Stolperstein haben sich die unzureichenden Mathekenntnisse der Studienanfänger erwiesen. Die Uni biete deshalb seit vielen Jahren Mathe-Vorkurse an, von diesem Wintersemester an gibt es für die Erstsemester gleich zu Beginn Kenntnistests. „Wir prüfen, ob der Mittelstufenstoff sicher beherrscht wird – Bruchrechnen zum Beispiel“, sagt Timo Weidl, Prodekan Mathematik.

Die Teilnahme am Kenntnistest ist freiwillig

„In der Auswertung berücksichtigen wir, aus welcher Schulart der Prüfling kommt, mit welcher Abinote und aus welchem Bundesland“, erläutert Weidl. Diese Daten sollen anonym an die Studiendekane weitergeleitet werden. Binz: „Wir wollen diese Ergebnisse mit den echten Prüfungsergebnissen korrelieren.“ Der Teilnehmer selbst soll zunächst nur ein Punkteergebnis zurückgemeldet bekommen. Geplant sei aber auch eine Art Rückmeldeampel: Grün heißt prima, gelb heißt geht so und rot bedeute: „Wir müssen reden“, so Weidl. Es werde aber keine Rückmeldung im Sinne von „Sie sollten es lieber lassen“ erfolgen. Man wolle stattdessen erreichen, dass die Studierenden zum Beratungsgespräch gehen. Elektrotechniker beispielsweise hätten eine anspruchsvollere Mathematik als Maschinenbauer zu bewältigen, ergänzt Binz. Überhaupt sei die Teilnahme an den Kenntnistests freiwillig.

Mathe soll in den Schulen wieder mehr Gewicht erhalten

Zwei Pilotdurchgänge mit mehr als 3000 Teilnehmern habe man bereits durchgeführt. „Jetzt wissen wir, wie’s auf Papier funktioniert“, sagt Weidl, „wir wissen aber noch nicht, ob die Teilnehmer das zu Hause bis zum Ende durchführen.“ Denn coronabedingt sollen die Tests online erfolgen – wie auch die Mathe-Vorkurse. Diese seien vor allem deshalb notwendig geworden, weil Anfang der 2000er Jahre die damalige Kultusministerin Annette Schavan (CDU) die Matheansprüche in den Schulen stark zurückgefahren habe, so Binz. In der Folge klafften die Mathekenntnisse der Studienanfänger und die Erwartungen der Hochschulen immer weiter auseinander. Inzwischen funktioniere die Kooperation Schule-Hochschule in Mathe und Physik gut, und zudem sei der Bildungsplan in Baden-Württemberg nachgebessert worden – es habe sich als vorteilhaft erwiesen, dass auch die Hochschulen daran mitgearbeitet hätten.

Nach positiver Bilanz soll im April wieder ein Orientierungssemester stattfinden

„Wenn es uns gelingt, den Orientierungsprozess an den Anfang des Studiums zu bringen und konstruktiv zu gestalten, dann ist schon viel gewonnen“, meint Weidl. Dazu beitragen soll auch das Orientierungssemester. Es soll den Teilnehmern eine Entscheidungshilfe bringen, ob sie Physik, Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik oder doch lieber Technische Kybernetik studieren wollen. „Es haben sich mehr als 50 junge Leute beworben, wir konnten leider nicht alle zulassen – zum Teil wegen fehlender Deutschkenntnisse“, berichtet Barbara Schüpp-Niewa, die das Angebot am Mint-Kolleg der Uni Stuttgart koordiniert und selbst Dozentin ist. Der Start mit 40 Teilnehmern sei auch wegen Corona anspruchsvoll gewesen. „Wir mussten alles online machen und haben mit jedem Teilnehmer eine Webex-Konferenz gemacht und einen persönlichen Stundenplan entwickelt“, berichtet sie. 36 Bachelor-Mintstudiengänge stellten sich vor. „Einige Teilnehmer haben sich in ihrer Studienwahl umorientiert“, so Schüpp-Niewa. Positiv bewertet hätten viele die Auffrischung ihrer Mathekenntnisse. Im April 2021 soll der zweite Durchgang starten.