Andreas Hoffmann liest im Ludwigsburger Haus der Freimaurer in einem der 75 zurückgegebenen Bände, die in der NS-Zeit verloren gegangen sind. Foto: factum/Weise

Im Jahr 1933 mussten sich die Freimaurer in Ludwigsburg wegen des NS-Regimes auflösen – und gaben ihre Bücher an die Landesbibliothek Stuttgart. Nun erhalten sie die Bände zurück – ein Stück Wiedergutmachung.

Ludwigsburg - Es war der 20. April 1933, ausgerechnet am Geburtstag des neuen Reichskanzlers Adolf Hitler, als sich die Ludwigsburger Freimaurer-Loge „Johannes zum wiedererbauten Tempel“ aufgelöst hat. Sie kam damit einem Verbot zuvor – die NSDAP witterte hinter dem Geheimbund eine Verschwörung des Weltjudentums. Das Freimaurer-Haus in der Asperger Straße schenkten die Ludwigsburger Logenbrüder der Stadt – dort zogen die Nazi-Schlägertrupps der SA ein.

Mit einem geschickten Schachzug ist es den humanistischen Brüdern jedoch gelungen, Teile ihres Eigentums zu retten. So schenkte der Freimaurer Alfred Wetzig mehrere Hundert Bände aus dem Bestand der Loge der Württembergischen Landesbibliothek. „Sie wurden zunächst zu Hause gelagert“, erzählt Andras Hoffmann, so genannter Altstuhlmeister der 1946 wieder gegründeten Ludwigsburger Loge. Zwar erhielten die Brüder ihr Gebäude 1954 von der Stadt zurück, doch das Inventar blieb verschwunden.

Über 94 000 Werke wurden durchsucht

Niemand dachte mehr an die verlorenen Bücher. „Sie gerieten in Vergessenheit“, sagt Andreas Hoffman. Bis die Landesbibliothek in Stuttgart vor drei Jahren ein Projekt gestartet hat, NS-Raubgut an ihre ursprünglichen Eigentümer zurück zu geben. Christian Pust und Marina Nüchter haben begonnen, die Magazine zu durchforsten.

Ein Großprojekt, das vor allem „Beutekunst aus zweiter Hand“ im Visier hat. Denn die Bibliothek war 1944 bei einem Luftangriff weitgehend zerstört worden, daher wurden viele Werke wieder antiquarisch erworben. Jedenfalls wurden bislang 75 Bücher entdeckt, die eigentlich den Ludwigsburger Freimaurern gehören.

Und am vergangenen Dienstag, auf den Tag genau 85 Jahre nach der Übergabe der Werke an die Bücherei, wurden sie im Freimaurer-Haus in Ludwigsburg zurück erstattet. „Wir erhalten damit einen wichtigen Baustein unserer Geschichte zurück“, sagt Andreas Hoffmann. Unter den Büchern ist auch eine Festschrift zur Gründung der Ludwigsburger Ortsgruppe am 1. Juli 1885 – oder in der Zeitrechnung der Freimaurer im Jahr 5885. Sie beginnen ihre Zählung 4000 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung. Wenn Andres Hoffmann diesen Band in der Hand hält, beginnen seine Augen zu leuchten. Dieser Teil der eigenen Historie war der Loge bislang verschlossen. Darin kann etwas nachgelesen werden, wie die Zeremonie zur Gründung ablief.

Die Gründungs-Festschrift taucht wieder auf

Für die heutigen Freimaurer, die nur noch wenig mit einem Geheimbund gemein haben, ein aufschlussreiches Dokument darüber, wie die Werte des Freimaurertums vor 140 Jahren gelebt wurden. So erfährt man, dass 92 Logenbrüder aus Stuttgart oder Ulm mit dabei waren, um einen Ableger in der Barockstadt zu etablieren. Auch die Statuten der Gründerzeit sind in einem Band verfasst.

Die Geschichte der Freimaurer wird neu geschrieben

Dazu kommen viele Werke über die Grundsätze der Freimaurer, Festschriften oder Gesangbücher. Auf all dies wird sich Rainer Braun, der Historiker der Ludwigsburger Loge, mit Begeisterung stürzen. Er hat akribisch alles gesammelt, was an Akten, Protokollen oder Aufzeichnungen aufzutreiben war. Vieles ist über einen Umweg nach Russland in den Geheimarchiven der DDR gelandet – auch das Protokoll der Auflösung der Ludwigsburger Gruppe 1933. Damals gab es 60 Mitglieder, darunter der berühmte Orgelbauer Oscar Walcker, der der Loge sogar eine seiner Orgeln zur Verfügung gestellt hat. Sie konnten ihre Familien durch die Auflösung der Loge schützen – wurden aber im Beruf drangsaliert.

Auch der Ex-Staatspräsident von Peru erhält ein Buch zurück

Die Ludwigsburger Freimaurer sind die zweite große „Restitution“ der Landesbibliothek, wie die Rückgabe in der Fachsprache heißt. Die erste ging an Pedro Pablo Kuczynski, den Staatspräsidenten von Peru. Seinem Vater, der Mediziner Max Kuczynski, wurde von den Nationalsozialisten ebenfalls ein Buch geraubt. Über die Botschaft wurde dieses zurückgesandt.