Jesko Dütting ist Physiker im kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamts. Foto: Lg/Michael Latz

Nach Unfallfluchten kann die Polizei die Spezialisten des Landeskriminalamts bei der Suche nach dem Verursacher hinzuziehen. Ein Experte erklärt, wie man den Tätern auf die Spur kommt.

Stuttgart - Der Verkehrspolizei bereiten Unfälle mit Fahrerflucht seit Jahren zunehmend Kopfschmerzen: Nicht nur bei kleinen Kratzern im Parkhaus machen sich die Verursacher häufig aus dem Staub. Erst am Wochenende ereignete sich im Rems-Murr-Kreis ein tödlicher Verkehrsunfall, bei dem der Verursacher zunächst das Weite suchte – die Polizei machte ihn ausfindig, und er räumte den Unfall ein.

Wer meint, nach einer Unfallflucht mit einer Sprühdose Farbe die Polizei täuschen zu können, der hat seine Rechnung ohne Jesko Dütting und sein Team im Landeskriminialamt (LKA) Stuttgart gemacht. In seinem Labor werden die kleinsten Lacksplitter zur heißen Spur. „Wenn die Spur rein ist, dann reicht eine Menge von der Größe eines Stecknadelkopfes“, sagt der Physiker.

Ein Lacksplitter in der Größe eines Stecknadelkopfes reicht aus

Zunächst brauchen die Ermittler eine Datengrundlage für den Abgleich der Spuren. Daher ist in jedem Bundesland ein Fachmann des Landeskriminalamts für die Autohersteller dort zuständig. „Ich habe Daimler und Porsche“, sagt Jesko Dütting. Von den Firmen erhält er lackierte Musterbleche. „Eine Ecke schneide ich für mich ab, den Rest schicke ich ins Bundeskriminalamt“, sagt Dütting. Das BKA führt die zentrale Datenbank, auf europäischer Ebene heißt sie Eucap – die Abkürzung steht für European collection of automotive paints. Im BKA ist von den meisten Farben ein Infrarotspektrum hinterlegt, und zwar von allen Schichten: Grundierung, Füller, Decklack und Klarlack.

Die Detektivarbeit der LKA-Ermittler besteht dann darin, einen Lacksplitter zu analysieren und die jeweiligen Infrarotspektren der einzelnen Schichten mit den Vergleichsmustern der BKA-Datei abzugleichen. „Dabei ist es nicht so, dass man eine Übereinstimmung mit einer Automarke in allen Schichten hat. Es geht darum, herauszufinden, welche Lackierung am wahrscheinlichsten ist“, erläutert Dütting. Die Lackierung mit den meisten Übereinstimmungen will gefunden werden.

Ein Schrottwürfel voller Spuren

Die Arbeit der Fachgruppe Physik im kriminaltechnischen Institut beschränkt sich nicht auf den Blick durchs Mikroskop. Das beweist einer der spektakulärsten Fälle: „Da riefen die Unfallermittler in der Freizeit an, weil sie mit Suchhunden auf dem Schrottplatz standen. Sie suchten eine Blutspur – aber die Hunde schnitten sich die Nase an den scharfen Blechkanten auf“, berichtet der Physiker. Was war geschehen? Ein Autofahrer hatte im August 2010 in Esslingen einen Fußgänger angefahren und tödlich verletzt. Die Polizei hatte einen Verdächtigen im Visier und bekam heraus, dass er den Wagen hatte verschrotten lassen. Die Beamten standen vor einem Berg gepresster Schrottwürfel und fanden darin mehrere Würfel, die der Farbe des Wagens und dem gesuchten Typ entsprechen könnten. Es war buchstäblich die Suche nach der Stecknadel im Schrotthaufen.

„Den verdächtigsten Würfel haben wir dann auseinandergezogen und durchkämmt, und etwas Glück kam auch dazu: Eine Polizistin fand in den Resten eine Visitenkarte des Verdächtigen“, erzählt Dütting. Dann kamen die Kriminaltechniker ins Spiel: Sie fanden in dem Dreckhaufen das Gegenstück eines wenige Millimeter großen Plastikteils, dass am Unfallort liegengeblieben war. „Damit hatten wir ihn“, sagt der Physiker. Gerade noch rechtzeitig: Wenig später wurde der ganze Schrottberg verladen und an einen Verwerter geschickt.

Grundsätzlich unterscheiden die Kriminaltechniker bei Fällen von Unfallfluchten zwei Fragestellungen: Entweder müssen sie helfen, einen Fahndungshinweis zu erstellen ohne das ein verdächtiges Fahrzeug bekannt ist. Das heißt, dass sie klären, welcher Fahrzeugtyp und welche Fahrzeugmodelle in welcher Farbe infrage kommen. Oder sie müssen einen Beweis erbringen, dass ein verdächtiges Fahrzeug tatsächlich in einen Unfall verwickelt war. „Wir bearbeiten pro Jahr etwa 70 Fahndungsfälle und nehmen zirka ebenso viele Lackuntersuchungen bei Unfallfluchten vor“, erläutert Dütting.