Aktenzeichen ungeklärt: Ein Unbekannter löst am 18. April auf der A 8 am Flughafen eine Kollision aus und verschwindet. Foto: 7aktuell.de/Simon Adomat

Eine hohe kriminelle Energie bescheinigt die Polizei jenen Verkehrsteilnehmern, die Verletzte am Unfallort zurücklassen und flüchten. Meist kommen sie davon.

Stuttgart - Vielleicht war es ein VW Passat – jedenfalls ein silberfarbener Kombi, älteres Baujahr. Und der Fahrer soll kurze schwarze Haare haben. Mehr gibt es nicht für die Ermittler der Stuttgarter Verkehrspolizei. Die suchen den unbekannten Autofahrer, der am Sonntagabend in der Pforzheimer Straße in Weilimdorf einen 71-jährigen Passanten umgefahren hat und geflüchtet ist. Das Auto soll bei Rot über die Fußgängerfurt gefahren sein.

Keine gute Aussichten für die Aufklärungsquote. „Vieles hängt eben auch von der Spurenlage ab“, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. Die ist dürftig. Soweit bekannt ist, hatte der Fahrer nach dem Zusammenprall mit dem Fußgänger noch einmal kurz abgebremst, war dann aber Richtung Löwenmarkt weitergefahren. Ob er an jenem Sonntag gegen 20.35 Uhr noch beobachtet wurde?

Die Zahl der Unfallfluchten ist in Stuttgart und in den Landkreisen im vergangenen Jahr gestiegen – landesweit sogar um knapp vier Prozent auf über 70 000 Fälle. Bei Unfällen mit Verletzten, bei denen sich die Verursacher aus dem Staub machen, sieht es in Stuttgart bedenklich aus: 168 solcher Fälle bedeuten ein Plus von 15 Prozent.

Für die Polizei spricht dieses Verhalten für eine „hohe kriminelle Energie, wenn man eine verletzte Person einfach am Unfallort zurücklässt und keine Hilfe organisiert“. Deshalb dürfe Unfallflucht sich nicht lohnen. Doch die Ermittlungen sind trotz Spurensuche in Labors und Fahrzeugteildatenbanken nicht einfach. Trifft mancher Ermittlungserfolg gar den Falschen?

Einer sieht sich in den Mühlen der Justiz

Noch heute kann ein 82-Jähriger aus Feuerbach nicht verstehen, wie er in die Mühlen der Justiz geraten konnte. „Mich belastet bis heute, dass ich beschuldigt worden bin“, sagt er. Auch an jenem Novembertag 2016 war ein Verkehrsteilnehmer auf einem Überweg angefahren worden. Eine 62-jährige Passantin hatte in Feuerbach einen Zebrastreifen in der Föhrichstraße überquert, als ein Auto sie erfasste, zu Boden schleuderte. Sie blieb mit gebrochenem Schlüsselbein liegen. Der Fahrer stieg aus und bot ihr Geld an. Dann stieg er wieder ein und fuhr weiter.

Die Aufklärungsquoten bei Unfallfluchten mit Personenschaden sind in Stuttgart niedriger als im Landesschnitt. Während 2017 im Land die Erfolgsquote bei knapp 50 Prozent lag, wurden in Stuttgart 42 Prozent geklärt. Im Jahr 2016 waren es gar nur 36 Prozent, den 82-jährige Feuerbacher BMW-Fahrer mitgerechnet.

Der war bei jener Unfallflucht im November 2016 an der Unfallstelle vorbeigefahren. Auf dem Heimweg, nachdem er seine Schwester zum Einkauf chauffiert hatte. Als er mit seinem BMW die Stelle passierte, sagte ein siebenjähriger Unfallzeuge zu einem Polizisten: „Da fährt der doch!“

Der BMW wurde – denn alle hatten das Kennzeichen nun gesehen – an der Heimatadresse des Halters aufgespürt. Die Polizisten brachten den Mann zur Unfallstelle, stellten seinen Wagen sicher. Und dann sammelten die Beamten Beweise.

Nach Aktenlage ist alles klar

Die angefahrene Fußgängerin war bereits im Krankenhaus. Als ihr 14 Tage später Lichtbilder vorgelegt werden, tippte sie auf Bild Nummer drei: der BMW-Fahrer aus Feuerbach. Ein Anwohner, der rauchend an einem Fenster stand und den Unfall beobachtet hatte, gab zu Protokoll: Bei dem Herrn, den die Polizei zurückgebracht habe, handelt es sich eindeutig um den Verursacher. Nur bei der Automarke sei er sich nicht sicher gewesen, notierte der Beamte. Der Anwalt des Beschuldigten wertet das anders: Der Mann sei Mechaniker – und habe mehrfach bekundet, dass es sich nicht um einen BMW, sondern einen Mercedes C-Klasse oder E-Klasse gehandelt habe.

Kann sich ein Mechaniker bei Autos täuschen, nicht aber bei Gesichtern? „Bei Zeugen gibt es immer gewisse Unschärfen“, sagt Staatsanwaltssprecher Heiner Römhild, „das muss man dann werten.“ Wesentlich sei, ob sich ein Zeuge bezüglich des Kerngeschehens glaubhaft erinnere. Das Kind, die Betroffene, der Nachbar – sie alle zusammen hätten für den Staatsanwalt einen hinreichenden Tatverdacht ergeben. Dem Feuerbacher ging daher ein Strafbefehl über 3500 Euro zu 70 Tagessätzen zu.

War der BMW ein Mercedes? Und der Passat ein Passat?

Beim Amtsgericht Bad Cannstatt wird der Fall aber eingestellt. Mercedes oder BMW? Der Wagen des 82-Jährigen hatte weder Eindellungen noch Wischspuren, die Front und der Kotflügel waren gar mit einer Staubschicht bedeckt. Und im Zeugenstand klang manches anders. „Das ist doch oft so, dass sich in Hauptverhandlungen etwas anderes herausstellt“, sagt Gerichts-Vizedirektorin Iris Käppler-Krüger. „Das eine steht auf dem Papier, das andere ist echte Wirklichkeit.“

Der für die Polizei statistisch geklärte Fall bleibt so in Wirklichkeit aber ungeklärt. Für den 82-Jährigen bleibt eine Frage: Wer war nun der Mercedes-Fahrer? Und im aktuellen Fall in Weilimdorf heißt es: War der Passat wirklich ein Passat?