Norbert Röttgen Foto: dpa

Vorstoß des Ministers provoziert die FDP - und ist eine Drohung für Energiekonzerne.

Berlin - Atom spaltet die Bundesregierung. Der kleine Koalitionspartner FDP fühlt sich provoziert, seitdem Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) per Interview deutlich gemacht hat, dass er große Hoffnung in erneuerbare Energien setzt und die Atomkraft für ein Auslaufmodell hält. Vor allem die Distanzierung von der Atomkraft sorgte dafür, dass er sich auch aus seiner eigenen Partei heftige Proteste einfing.

Wie sehr Röttgen in seiner Partei angeeckt ist, zeigt dies: Für Freitag haben drei Umweltminister aus den Ländern - alle gehören der Union an - die Journalisten in die Presselounge des Bundesrats gebeten. So etwas hat es noch nicht gegeben. Die Ressortchefs Tanja Gönner (Baden-Württemberg), Silke Lautenschläger (Hessen) und Markus Söder (Bayern) werden da wohl kaum Beifall klatschen. Vielmehr werden sie klarmachen, dass sie mit Röttgens Dämpfer für die Atomkraft keineswegs einverstanden sind.

Es wird viel spekuliert, was Röttgen parteitaktisch umtreibt. Die schwächelnde FDP hat Angst, dass der Rheinländer Röttgen mit NRW-Ministerpräsident Norbert Rüttgers (CDU) unter einer Decke steckt und das Feld bestellt für Schwarz-Grün nach der Landtagswahl am 9. Mai.

Abgesehen von möglichen parteistrategischen Schachzügen: Den Umweltminister treiben auch einige inhaltliche Überzeugungen an. Röttgen sieht vor allem eine große Chance für die Wirtschaft. Deutsche Ingenieurkunst ist bei Windrädern, Fotovoltaik und anderen grünen Technologien weltweit hoch anerkannt, sie hat sich einen Vorsprung erkämpft.

Röttgen glaubt, dass sich den hiesigen Unternehmen mit dem grünen Maschinenbau großartige Zukunftschancen bieten. Anlagenhersteller im Bereich der erneuerbaren Energien, so ist Röttgen überzeugt, leisten derzeit den wichtigsten Beitrag für ein klimaverträgliches Wirtschaftswachstum.

Grüner Maschinenbau: Aufschwung statt Krise

Hinzu kommt: Die Branche ist wohl die einzige, die selbst in der heftigen Wirtschafts- und Finanzkrise sich weltweit im Aufschwung befindet. Sogar in den konjunkturpolitisch finstersten Monaten des vergangenen Jahres haben einschlägige Unternehmen noch in großem Stil neue Leute eingestellt. Selbst beim ehrwürdigen deutschen Industrieunternehmen Siemens sind mittlerweile Zehntausende Mitarbeiter just in der Sparte beschäftigt, in der es um erneuerbare Energien geht. Fest steht ferner, dass die Wachstumsregionen, also Brasilien, Indien und China, längst mit nachhaltigen Formen der Energiegewinnung rechnen. Röttgen glaubt außerdem daran, dass das Wuchern mit Technologien für nachhaltiges Wachstum eine tolles Projekt für die schwarz-gelbe Koalition wäre. Schließlich fehlt dem Bündnis noch eine zündende sinnstiftende Idee.

Röttgen schwebt ein Masterplan zum flächendeckenden Ausbau der erneuerbaren Energien vor. Seine Rechnung ist einfach: Derzeit haben die Erneuerbaren einen Anteil von 17 Prozent bei der Energieerzeugung. Bis 2030 könnte die umweltverträglich hergestellte Energie einen Anteil von 40 Prozent erreichen. Das ist keine Träumerei, als Zukunftsszenarien halten dies der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sowie das Bundeswirtschaftsministerium für realistisch. An dieser Stelle kommt die Atomkraft ins Spiel. "Das ist die Zielmarke: Wenn wir 40 Prozent erneuerbare Energien haben, dann ist nach der Koalitionsvereinbarung für Kernenergie kein Raum mehr", sagt Röttgen.

Also ist es konsequent, den Betreibern von Atommeilern keinen Freibrief zu erteilen, die Anlagen so lange laufen zu lassen, wie dies technisch möglich wäre. Es heißt, dass derzeit ein Atomkraftwerk bis zu 60 Jahren laufen könne. Wenn die Atomkraftwerke aber so lange laufen dürfen, so das Kalkül Röttgens, verschläft Deutschland die Energiewende. Deswegen will er darauf drängen, dass die Laufzeiten allenfalls um acht oder zehn Jahre verlängert werden.

Röttgens Überlegungen provozieren nicht nur die drei Landesumweltminister und die FDP. Eine Drohung sind sie vor allem für die Betreiber von Atomkraftwerken. Je länger die längst abgeschriebenen Anlagen laufen dürfen, desto mehr Gewinne können die Anbieter RWE, Eon und EnBW einstreichen. Im Südwesten ist der Druck besonders groß. Schließlich müsste die EnBW das Kraftwerk Neckarwestheim I in wenigen Monaten vom Netz nehmen, wenn nicht bald eine Vereinbarung über die Laufzeitverlängerung getroffen wird. Die Reststrommengen, die dem Block nach dem rot-grünen Atomausstieg jetzt noch zur Verfügung stehen, sind nahezu verbraucht.

Für die EnBW wird die Zeit knapp. Röttgens Vorgänger Sigmar Gabriel (SPD) hatte es abgelehnt, dass EnBW Reststrommengen von Neckarwestheim II auf Neckarwestheim I überträgt. Nun wird darüber spekuliert, ob Vattenfall Reststrommengen von seinem derzeit nicht am Netz hängenden Kraftwerk Stade an die EnBW verkauft. Diese Form der Übertragung bedarf keiner Erlaubnis durch den Minister. Die Reststrommengen aus dem Norden würden der EnBW allenfalls drei bis vier Monate weiterhelfen. In dieser Frist wird die Koalition die Atom-Frage aber nicht gelöst haben.