Menschen in der Ukraine gedenken den Getöteten. Foto: Getty Images Europe

Maryna Mudra hat den Sturz der Regierung Janukowitsch am Wochenende hautnah auf dem Maidan in Kiew miterlebt. Seit zwölf Jahren lebt die Ukrainerin in Deutschland. Von der EU erhofft sie sich vor allem Hilfe beim Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats.

Kiew/München - Maryna Mudra hat den Sturz der Regierung Janukowitsch am Wochenende hautnah auf dem Maidan in Kiew miterlebt. Seit zwölf Jahren lebt die Ukrainerin in Deutschland. Von der EU erhofft sie sich vor allem Hilfe beim Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats.

Frau Mudra, wie ist die derzeitige Stimmung unter den Demonstranten?
Die Leute sind in einer erwartungsvollen Stimmung. Zwar etwas ungewiss, was jetzt kommt, aber dennoch hoffnungsvoll.
Julia Timoschenko hat die Demonstranten auf dem Maidan aufgerufen zu bleiben, bis der Machtwechsel vollends vollzogen sei.
Die Demonstranten selbst wollen auf dem Maidan bleiben, ganz unabhängig von Timoschenko. Weil sie den Politikern nicht trauen und weil sie sicherstellen wollen, dass der Machtwechsel jetzt auch ordnungsgemäß über die Bühne geht.
Wird jetzt Julia Timoschenko die neue starke Frau in der Ukraine?
Sie wird gar nicht von so vielen Leuten unterstützt, wie man hier in Deutschland immer den Eindruck hat. Sie hat längst nicht mehr den Rückhalt wie noch bei den Wahlen 2010. Es ist nur eine relativ kleine Gruppe, die immer noch an sie glaubt.
Warum?
Mein Eindruck ist, dass die meisten Ukrainer sie nicht als Präsidentin wollen. Die einen haben kein Vertrauen zu ihr und haben das auch nie gehabt, weil sie aus ihrer Sicht Teil der Oligarchen ist. Die anderen sagen: Timoschenko war drei Jahre weg von der Politik, sie hat nichts von der Entwicklung im Land mitbekommen und soll sich nicht einmischen. Sie ist noch aus der alten Zeit und ist in dieser Zeit stecken geblieben, das wollen wir nicht.
Welche Alternativen gibt es?
Das ist schwer zu sagen, denn die normalen Menschen auf dem Maidan haben eigentlich kein Vertrauen zu den Oppositionsführern. Sie haben aber Vertrauen zu einzelnen Mitgliedern der Oppositionsparteien und zu jenen, die für die Arbeit auf dem Maidan verantwortlich waren. Arsen Awakow etwa, der jetzige Interimsinnenminister, oder die Oppositionspolitikerin Lesya Orobets, die versucht hat, Aktivisten aus den Krallen der Sonderpolizei zu befreien. Aber auch Andrej Parubij, der Kommandant des Protestlagers auf dem Unabhängigkeitsplatz Maidan, oder Alexander Turtschinow, der jetzt Übergangspräsident ist.
Welche Rolle kann Vitali Klitschko spielen?
In den letzten drei Tagen habe ich von Klitschko gar nichts mehr gehört, er ist von der Bühne verschwunden. Vielleicht denkt er nach, ordnet seine Rolle neu. Ich denke aber, dass er als Präsidentschaftskandidat antritt.
Es soll jetzt eine Art Regierung der nationalen Einheit geben, auch mit Mitgliedern der Janukowitsch-Partei. Kann das gutgehen?
Die Mitglieder der Janukowitsch-Partei müssen jetzt am Anfang sicher mitgenommen werden, damit die Menschen im Osten und Süden des Landes sich eingebunden fühlen und nicht denken, dass der Westen alle Macht übernommen hat. Das ist ein Kompromiss, um einen neuen Konflikt zu vermeiden.
Wie kann die EU der Ukraine jetzt helfen?
Die EU sollte zunächst die Ukraine als eigenständiges Volk und eigenständiges Land sehen. Die Leute wollen endlich als Volk anerkannt werden, ganz egal welche Minderheiten hier leben, ob Russen, Polen, Tataren, Juden, Griechen – wir sind eine Nation. Wir sind Ukrainer und keine abgespaltene Provinz Russlands. Auf dieser Ebene müssen die Gespräche von der EU aus geführt werden. . Eine schnelle Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens wäre als einer der ersten Schritte ein wichtiges Zeichen und auch wichtige Hilfe. Und, dass uns Europa mit Know-how unterstützt. Wie die Gesetze verbessert werden können, wie man ein ordentliches Gerichtssystem aufbaut, wie man die Wirtschaft organisiert. Die EU sollte uns Spezialisten schicken, nicht Bürokraten. Der Westen sollte uns helfen, die entsprechenden Kontrollinstanzen zu schaffen, damit es nicht noch einmal so viel Machtmissbrauch geben kann. Entscheidend ist nicht die finanzielle Unterstützung sondern der Wissenstransfer, dass man den Menschen in der Ukraine Instrumente an die Hand gibt, wie Demokratie funktioniert.