Erdogan kann es nicht lassen. In Europa wüte „Faschismus“, sagt er vor Anhängern in der türkischen Provinz Afyonkarahisar. Foto: Pool Presidential Press Service/

Auch in Deutschland darf über Erdogans Verfassungsreform abgestimmt werden – wenn der sich benimmt. Der türkische Präsident denkt aber gar nicht daran und sieht „den Geist des Faschismus“ auf Europas Straßen wüten.

Berlin - Die Bundesregierung hat der Türkei erlaubt, für die rund 1,4 Millionen Menschen mit türkischem Pass in Deutschland Orte zu organisieren, an denen über die umstrittene Verfassungsreform des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan abgestimmt werden kann.

13 Wahllokale sollen vom 27. März bis 9. April geöffnet werden. Geplant sind solche Anlaufpunkte an allen konsularischen Vertretungen der Türkei, also auch in Stuttgart und Karlsruhe. Darüber hinaus bat die türkische Seite um die Öffnung von Wahllokalen in Dortmund, München, Hannover und Nürnberg. Alle Kosten, die innerhalb der Wahllokale anfallen, trägt die Türkei. Außerhalb der Wahllokale ist die Polizei auf Kosten der Landeshaushalte für die Sicherheit zuständig.

Nur im Rahmen der deutschen Rechtsordnung

Eine solche Genehmigung ist bisher in Deutschland gängige Praxis, aber diesmal ist sie mit ungewöhnlich strengen Auflagen versehen. Die Wahlen und alle im Vorfeld stattfindenden Wahlkampfauftritte türkischer Politiker müssten „im Rahmen der deutschen Rechtsordnung, des Versammlungsrechtes und der Grundsätze des Grundgesetzes durchgeführt werden“, sagte Außenamtssprecher Martin Schäfer. Andernfalls behalte es „sich die Bundesregierung vor, alle notwendigen, geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu ergreifen“. Das schließe „ausdrücklich auch die Überprüfung bereits erteilter Genehmigungen“ ein. Der Sprecher von Außenminister Sigmar Gabriel sprach von einem „sehr klaren Signal an die türkische Regierung“ und erinnerte an Paragraf 90a des Strafgesetzbuchs, der die „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ unter Strafe stellt. Diese Regeln würden für „jedermann“ gelten, also auch für Erdogan.

Merkels Bedingung: keine Nazi-Vergleiche

Bisher liegen im Auswärtigen Amt lediglich bis zum 31. März Reiseankündigungen türkischer Politiker zu Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland vor, von Auftrittswünschen Erdogans oder weiterer Minister wisse man nichts. Es sei aber „wahrscheinlich, dass die türkische Seite nachmeldet“, so Schäfer. Als Konsequenz aus der Eskalation der vergangenen Tage habe man auch dafür „klare Voraussetzungen“ definiert: „Rechtzeitige Mitteilung, präzise Angabe eines Veranstaltungsortes und des Zwecks dieser Veranstaltung.“

Regierungssprecher Steffen Seibert präzisierte im Namen von Kanzlerin Angela Merkel die Hauptbedingung dafür, dass die Bundesregierung weiterhin grünes Licht für Wahlkampf und Wahllokale gibt „Diese völlig deplatzierten NS-Vergleiche müssen aufhören und zwar gegenüber Deutschland wie auch gegenüber anderen europäischen Ländern, die mit zu unseren engsten Freunden und Partnern gehören.“ Erdogan soll sich also auch gegenüber den Niederlanden mäßigen, wo der Streit wegen abgesagter Wahlkampfauftritte eskalierte.

Erdogan legt gegen die Niederlande nach

Erdogan zeigte sich von diesen Auflagen allerdings erwartungsgemäß völlig unbeeindruckt. Denn ungeachtet historischer Tatsachen wurden weitere Provokationen Erdogans bekannt. Er warf Agenturangaben zufolge im zentraltürkischen Afyonkarahisar den Niederlanden vor, sie hätten 1995 im bosnischen Srebrenica „mehr als 8000 bosnische Muslime massakriert“. Juden seien in der Vergangenheit „genauso behandelt“ worden, sagte Erdogan mit Blick auf den Umgang mit Muslimen im heutigen Europa. „Der Geist des Faschismus wütet auf den Straßen Europas.“

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat den Massaker-Vorwurf bereits als „widerliche Geschichtsverfälschung“ zurückgewiesen. Tatsächlich hatten das Massaker in Srebrenica im Juli 1995 bosnisch-serbische Truppen verübt. Niederländische Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen hatten den Angreifern die Stadt zuvor allerdings kampflos überlassen. Die aktuellen Äußerungen Erdogans bringen die Bundesregierung in Zugzwang. Denn die Latte, die Kanzlerin Angela Merkel für Präsident Erdogan auflegte, hat dieser schon im ersten Anlauf gerissen.