Zwei Polizisten gehen in Freiburg auf Segway-Streife. Derweil müssen anderswo Kollegen wegen der neuerlichen Polizeireform die Koffer packen. Foto: picture alliance/dpa/Patrick Seeger

Trauer in Tuttlingen, Neuanfang in Ravensburg und Pforzheim: Ohne große Aufregung, aber mit einer gehörigen Portion Skepsis bewältigen die Beamten die zweite Umstrukturierung der Polizeipräsidiumslandschaft in sechs Jahren.

Tuttlingen - In einigen Büros stehen gepackte Umzugskartons, mancher Schreibtisch wechselte das Zimmer. In dem aufgeständerten Langbau der Polizei in Tuttlingen ist Umzugszeit. Vor wenigen Tagen wurde der Polizeipräsident Gerhard Regele in den Ruhestand verabschiedet. Einen Nachfolger wird es nicht geben. Zum Jahresende wird das Präsidium abgewickelt.

„Bis zum 31. Dezember muss die Dienststelle funktionieren, und das wird sie auch“, verspricht der Präsidiumssprecher Thomas Kalmbach. Auch er wird an anderer Stelle neu anfangen, wie alle Mitarbeiter des Leitungsstabs, die Ort, Aufgabenbereich oder beides wechseln. Vor sechs Jahren, bei der ersten Polizeireform, war das Tuttlinger Präsidium entstanden, zuständig für fünf Landkreise. Eine bauliche Erweiterung war geplant, doch das ist längst passé. Jetzt gibt es eine Reform der Reform, und Tuttlingen ist das Opfer.

Ein langer vergeblicher Kampf

Dabei haben die Kollegen laut Statistik keine schlechte Arbeit geleistet. Tuttlingen ist der Landkreis mit der geringsten Kriminalitätsbelastung in Baden-Württemberg. Bei der politischen Debatte spielte das keine Rolle. Die neue Reform sei verunglückt, findet der Landrat Stefan Bär (Freie Wähler). „Wir haben, so lange es geht, dagegen gekämpft.“ Am Ende habe man das Ergebnis zu akzeptieren gehabt.

Der eigentliche Einschnitt sei ohnehin vor fünf Jahren gekommen, meint der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck (CDU). Bis dahin gab es in jedem Landkreis eine eigene Polizeidirektion. „Da hatten wir eine ganz enge Kooperation zwischen OB, Polizei und Landrat.“ Künftig ist die Zentrale in Konstanz, „am letzten Zipfel des Beritts“, sagt Beck. Immerhin geht der Umbau des dortigen Präsidiums, das zugleich die Zuständigkeit für den Raum Ravensburg abgibt, lautlos vonstatten. Das war 2014 noch ganz anders, als die Oberschwaben den Bodenseestädtern einverleibt wurden und die Ravensburger Kriminaler zu täglichen langen Anfahrtswegen um oder über den Bodensee genötigt wurden. Überhaupt, sagt Hans-Jürgen Kirstein, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), laufe diese zweite Reform innerhalb des Polizeiapparates sachlich ab. Zwar gebe es „die eine oder andere Zwangsversetzung“, aber insgesamt „gab es in der Masse keine solchen Negativreaktionen, wie wir sie vor einigen Jahren hatten“. Insgesamt müssen rund 400 Beamte die Arbeitsstelle wechseln.

Es gibt auch echte Gewinner

Wenn Tuttlingen der Verlierer der Reform ist, dann sind Ravensburg und Pforzheim die Gewinner. Der komplette Nordschwarzwald wurde bisher von Karlsruhe aus verwaltet. Das dortige Präsidium habe wegen seines großen Zuständigkeitsbereichs in der Kritik gestanden, sagt der Pforzheimer OB Peter Boch (CDU), bis 2011 selbst Polizist. Er freue sich, dass die Polizei mit dem neuen Präsidium in seiner Stadt regional wieder präsenter agiere.

Ob dies die Bevölkerung spürt, hängt davon ab, ob es gelingt die Personalsituation zu verbessern. Hunderte zusätzliche Jungpolizisten sind in Ausbildung, rund 1500 Zusatzstellen peilt die grün-schwarze Koalition an. Doch angesichts der starken altersbedingten Fluktuation und einiger Kompensationen – so gewinnt Tuttlingen als Trostpflaster 34 Streifenpolizisten hinzu – werde eine Arbeitsentlastung erst ab 2021 spürbar werden. Wenn es so weit sei, dürften wiederum zunächst die neu gegründeten Präsidien in Pforzheim und Ravensburg aufgefüllt werden, glaubt Thomas Krohne, stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten (BDK). „Das geht zu Lasten der bestehenden Präsidien.“

Ohne Praktikanten ginge gar nichts

Dabei arbeiteten viele wichtige Einheiten schon viel zu lange mit Hilfspersonal. Schutz- und Verkehrspolizeien funktionierten oft nur, „wenn man Praktikanten hat“. Die Zahl der Überstunden der 24 000 Polizisten erreichte laut Innenministerium im Jahr 2018 annähernd zwei Millionen. Ein Großteil davon konnte nicht im selben Jahr abgebaut werden.

Dass die aktuell laufenden Umzüge von Polizeieinheiten ein Ende der Umbaumaßnahmen am Polizeiapparat markieren, glaubt GdP-Gewerkschafter Kirstein nicht. „Seit ich bei der Polizei bin, wandere ich von einer Reform zur nächsten.“ BDK-Vertreter Krohne sieht die Polizei als „Getriebene“ der Landespolitik. Bei aller Skepsis zur Reform bestätigen sie aber, was die baden-württembergischen Polizeiführer der Bürgerschaft versichern: Auch vom 1. Januar 2020 an werde jeder Notruf angenommen und bearbeitet. Neue Kommunikationstechniken seien dort, wo sie aufgebaut wurden, bereits geprüft. Und alte Lagezentren blieben in Betrieb, bis neue sich restlos eingespielt hätten.