Recep Tayip Erdogan wirft politischen Gegnern gerne Terrorismus vor. Foto: AFP

Ankara stellt so viele Gesuche wegen Terrorverdachts wie kein anderes Land. Die Zahl hat sich seit dem misslungenen Putschversuch 2016 vervierfacht. Berlin gibt den Wünschen nicht statt.

Berlin - Durch die „Säuberungswelle“ in der Türkei nach dem gescheiterten Putsch haben Hunderttausende ihre Arbeit verloren, Zehntausende wurden verhaftet. Auch Türken aus dem Ausland versucht Ankara in den Einflussbereich der eigenen Justiz zurückzuführen. Die türkische Justiz hat seit dem Putschversuch am 15. Juli 2016 alleine 115 Auslieferungsgesuche an die Bundesregierung gerichtet. In der Mehrzahl der Fälle wirft die Türkei den so gesuchten Staatsbürgern Terrorismus vor. Nach aktuellen Zahlen des Bundesjustizministeriums, die unserer Zeitung vorliegen, war das bis Ende März 2018 bei 54 der insgesamt 115 Anfragen der Fall. Bei den übrigen Ersuchen handelt es sich um Fälle gewöhnlicher Kriminalität.

Die Zahl der Auslieferungsanfragen wegen Terrorverdacht hat sich stark erhöht: Gegenüber Zahlen aus der offiziellen Statistik aus dem Jahr 2015 hat sie sich vervierfacht. Im gesamten Jahr 2015 – neuere Zahlen liegen auf Bundesebene noch nicht vor – waren von den damals 66 türkischen Auslieferungsbegehren insgesamt 13 mit Terrorverdacht begründet worden. Stattgegeben wurde keinem einzigen dieser Anträge. Daran hat sich auch nach dem Putsch nichts geändert.

Das letzte Wort hat die Bundesregierung

Die Entscheidung über Anfragen dieser Art wird auf politischer und auf juristischer Ebene getroffen. Zunächst prüft das Bundesamt für Justiz in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt das Begehren. Wenn dem keine objektiven Bewilligungshindernisse entgegen stehen, sind die Generalstaatsanwaltschaften und danach die Oberlandesgerichte mit der juristischen Prüfung an der Reihe. Anders als bei Verfahren nach dem Europäischen Haftbefehl, wie derzeit im Fall des ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont, kommt bei Anträgen aus Nicht-EU-Staaten anschließend noch einmal die Politik zum Zuge. Das Bundesjustizministerium prüft und entscheidet zusammen mit dem Außenministerium, ob eine Auslieferung tatsächlich erfolgen soll.

In den Fällen, die von Ankara mit Terrorismusverdacht begründet wurden und die nach dem Putschversuch angefragt worden sind, ist nach Angaben des Justizministeriums keinem einzigen stattgegeben worden. Lediglich 19 Ersuchen, die mit Allgemeinkriminalität in Zusammenhang stehen, wurde zugestimmt. Die Türkei ist damit das einzige Land, dem Auslieferungsanfragen wegen Terrorismusverdachts negativ beschieden werden. Die Zahlen aus der Statistik von 2015 belegen, dass den entsprechenden Wünschen aus anderen Ländern sehr wohl entsprochen wurde. Demnach wurden je zwei mutmaßliche Terroristen nach Belgien und in die USA überstellt, je ein mutmaßlicher Terrorist nach Frankreich, Litauen, Spanien, in die Schweiz und in die Slowakei.

Die meisten Anträge kommen aus Polen

Insgesamt wurden 2015 exakt 1748 Auslieferungsanträge in Deutschland gestellt, die mit Abstand meisten davon kommen aus Polen. Der östliche Nachbar suchte 465 seiner Staatsbürger zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung. In den meisten Fällen waren Diebstahl und Betrug als Gründe für das Gesuch angegeben. Ebenfalls überdurchschnittlich häufig stellten Rumänien (200), Ungarn (102) und Belgien (89) Auslieferungsanträge.

Auch beim Stuttgarter Oberlandesgericht kommen die meisten Eingänge zu Auslieferungsverfahren aus Polen. 2015 waren es 13 Verfahren, im Jahr darauf 18, im vergangenen Jahr 15. Die Zahl der Anträge aus Ankara, die in Stuttgart landeten, war vergleichsweise gering: drei in den vergangenen drei Jahren. Ein Türke wurde 2016 wegen Körperverletzungsdelikten an die Türkei überstellt, die beiden anderen Fälle erledigten sich von selbst: Ein Straftäter war bereits abgeschoben, im anderen Fall nahm die Türkei ihr Gesuch zurück.