Mahmut (links) und Majid aus Damaskus in Syrien stehen in Stuttgart auf der Terrasse des Martinus-Haus. Wirtschaftslenker im Südwesten sprechen sich für mehr Engagement von Unternehmen in der Flüchtlingskrise aus. Eine Umfrage unserer Zeitung zeigt: Sie sehen in der derzeitigen Lage große Chancen. Klicken Sie sich durch die Bildergalerie. Foto: dpa

Wirtschaftslenker im Südwesten sprechen sich für mehr Engagement von Unternehmen in der Flüchtlingskrise aus. Eine Umfrage der Stuttgarter Nachrichten zeigt: Sie sehen in der derzeitigen Lage große Chancen.

Stuttgart - Unternehmen setzen verstärkt auf das Potenzial von Flüchtlingen, die in diesen Wochen in die Region kommen. Oft hapert es noch an bürokratischen Hürden – doch es gibt auch Ansätze für die Integration von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt.

Daimler-Chef Dieter Zetsche kündigte an, in Flüchtlingszentren gezielt nach Arbeitskräften zu suchen. „Die meisten Flüchtlinge sind jung, gut ausgebildet und hoch motiviert. Genau solche Leute suchen wir“, sagte Zetsche in einem Zeitungsinterview. Auch beim Autobauer Porsche sind Flüchtlinge momentan ein großes Thema. „Hilfe ist aus unserer Sicht dringend geboten“, sagt Porsche-Chef Matthias Müller. „Wir wünschen jedem Menschen auf dieser Welt, dass er einmal am Tag warm essen und ruhig schlafen kann.“ Konkret prüfe Porsche derzeit die Möglichkeiten, Flüchtlinge auszubilden oder zu beschäftigen. Müller fordert insgesamt mehr Engagement für Flüchtlinge von deutschen Arbeitgebern.

Unternehmen wie Daimler, Porsche oder auch Bosch sind Vorreiter im Hinblick auf die Integration von Flüchtlingen – auch weil sie bereits jetzt von der Internationalität der Mitarbeiter leben. Rund 20 000 Mitarbeiter – also knapp zwölf Prozent – der Beschäftigten bei Daimler in Deutschland haben einen ausländischen Pass, sie kommen aus 140 verschiedenen Ländern. „Bei Daimler sind wir überzeugt, dass mehr Vielfalt zu besseren Ergebnissen führt. Als global agierendes Unternehmen ist es für uns eine Verpflichtung, Vielfalt zu fördern und zu fordern“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. Ganz ähnlich ist die Situation bei Porsche: In den deutschen Werken arbeiten Menschen aus 50 Nationen. „Gelebte Integration“, sagt Müller.

Junge Flüchtlinge fit für die Berufsausbildung machen

Der Esslinger Autozulieferer Eberspächer beteiligt sich zusammen mit 14 weiteren Unternehmen am Modellprojekt „Vermittlung von Flüchtlingen in Ausbildung“. Die Initiative von Industrie- und Handelskammer (IHK) Esslingen-Nürtingen und Partnern läuft seit diesem Juni. Derzeit werden 20 Flüchtlinge fit für eine Berufsausbildung gemacht. „Der erste Schritt ist die Einstiegsqualifizierung, bei der die jungen Menschen bereits die Berufsschule besuchen und neben der Sprache auch das Berufsbild und das Unternehmen von innen kennenlernen“, sagt Heinrich Baumann, Geschäftsführender Gesellschafter bei Eberspächer. „Einen ersten Vertrag zu einer solchen Einstiegsqualifizierung konnten wir bereits abschließen, zwei weitere sind in Planung.“

Andere Unternehmen in der Region ziehen erst allmählich nach: Man prüfe, ob eine Beschäftigung von Flüchtlingen sinnvoll sei und wie diese aussehen könne, heißt es vom Maschinen- und Anlagenbauer Dürr. Auch die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) lotet verschiedene Möglichkeiten zur Integration von Flüchtlingen aus – obwohl es im Bankensektor derzeit keinen nennenswerten Bedarf an neuen Arbeitskräften gebe, wie ein Sprecher sagt.

In vielen Fällen scheitert eine schnelle Integration von qualifizierten Flüchtlingen in die Arbeitswelt vor allem an langen Anerkennungsprozessen – und somit an einer fehlenden Arbeitserlaubnis. Der Werkzeugmaschinenbauer Trumpf fordert deshalb von der Politik schnellere Anerkennungsverfahren und Verbesserungen bei der Prüfung von Asylanträgen.

Unternehmen fordern schnellere Anerkennungsverfahren

Auch bei der Ausbildung junger Geflüchteter sieht die Wirtschaft noch Handlungsbedarf. Die Bereitschaft der Betriebe zur Integration sei grundsätzlich enorm, sagt Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. Für den Arbeitsmarkt oder die duale Ausbildung fehlten aber in der Regel die Sprachkenntnisse. Ohne vorbereitende Kurse seien die meisten Flüchtlinge nicht ausbildungsfähig. „Bund und Länder müssen solche Berufsvorbereitungskurse intensiv fördern.“ Bei der Wüstenrot&Württembergische-Gruppe sieht man dies ähnlich: „Eine gezielte Förderung der Erlangung deutscher Sprachkenntnisse durch die Politik würde erleichternd wirken“, sagt die Generalbevollmächtigte Personal, Susanne Pauser.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag kritisierte das im Juli beschlossene neue Bleiberecht. „Eine wichtige Chance zugunsten junger Flüchtlinge und ihrer ausbildenden Betriebe wurde vertan“, so der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Nach den neuen Regeln könne die Ausbildung einen „dringenden persönlichen Grund“ für eine Duldung darstellen – aber nur für Zuwanderer bis zum 21. Lebensjahr. Zudem könne die Duldung zunächst nur für ein Jahr erteilt werden und jeweils für ein Jahr bis zum Ausbildungsende verlängert werden.

Unternehmen wie Daimler, aber auch die Verbände fordern stattdessen: Wer eine dreijährige Ausbildung absolviert, soll in dieser Zeit nicht abgeschoben werden. Nach der Lehre sollten die jungen Fachkräfte dann zudem für mindestens zwei Jahre weiter beschäftigt werden dürfen.

Wirtschaftslenker im Südwesten sprechen sich für mehr Engagement von Unternehmen in der Flüchtlingskrise aus. Eine Umfrage unserer Zeitung zeigt: Sie sehen in der Lage große Chancen. Klicken Sie sich durch die Bildergalerie.