Die Elektromobilität verändert nicht nur den Straßenverkehr, sondern auch die Standorte, an denen Autos produziert werden. Foto: dpa

Mehr als 150 000 Arbeitsplätze kann die Elektromobilität nach Schätzungen der IG Metall in der deutschen Autoindustrie kosten. Die Ideenlosigkeit vieler Firmen bereitet ihr Sorgen.

Frankfurt - Viele Firmen der deutschen Metallindustrie haben sich noch nicht intensiv mit der Frage beschäftigt, was technologische Veränderungen wie die Elektromobilität und die Digitalisierung von Produkten und Fertigungsmethoden für ihr Geschäftsmodell und die Beschäftigung bedeuten. Eine Umfrage der IG Metall, an der sich rund 10 000 Betriebsräte und Vertrauensleute aus 2000 Betrieben mit insgesamt 1,7 Millionen Beschäftigten der Branche beteiligten, ergab, dass nach deren Einschätzung knapp die Hälfte keine oder keine ausreichende Strategie für die Transformation haben, erklärte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann.

Bei Beschäftigten überwiegt Skepsis

Entsprechend skeptisch fallen auch die Erwartungen der Beschäftigten mit Blick auf die künftige Beschäftigung aus. Die Arbeitnehmervertreter von 54 Prozent der Firmen aus der Autobranche, die an der Studie teilnahmen, gehen von einer sinkenden Beschäftigung aus. Nur in acht Prozent wird ein Zuwachs erwartet. Wie groß die Verunsicherung ist, zeigt sich auch daran, dass die allermeisten sich höchstens Aussagen für die nächsten zwei Jahre zutrauen. Dabei sehen die Beschäftigten in der Autobranche die Entwicklung insgesamt skeptischer als die in der übrigen Metallindustrie, zu der etwa Maschinenbauer oder die Metallbearbeitung zählen.

Hofmann warf den betroffenen Unternehmen vor, den Wandel viel zu defensiv anzugehen und „Roulette mit der Zukunft der Beschäftigten“ zu spielen. Schon jetzt sei absehbar, dass es mittelfristig zu einem Personalabbau in der Branche kommen werde. Dazu trage auch die Elektromobilität bei. Ein Batterieantrieb ist technologisch wesentlich weniger komplex als ein Verbrennungsmotor, weshalb er mit deutlich weniger Personal hergestellt werden kann. Auch die Künstliche Intelligenz, die etwa die Produktion wesentlich effizienter machen soll, sei für viele Mittelständler noch in „weiter Ferne“.

Besonders stark betroffen seien Zulieferbetriebe, die sich auf Komponenten für den Verbrennungsmotor spezialisiert hätten, sagte Hofmann. Größere Konzerne dagegen hätten den Vorteil, zurückgehende Beschäftigung zumindest teilweise ausgleichen zu können, indem sie verstärkt Arbeit nicht mehr an Zulieferer auslagern, sondern an die eigenen Mitarbeiter geben. Das macht es ihnen vergleichsweise leicht, langfristige Verpflichtungen zur Sicherung der vorhandenen Arbeitsverhältnisse einzugehen. Auch bei Daimler gilt eine umfangreiche Jobsicherung bis Ende 2029. Hofmann warnte die Unternehmen aber davor, diese Verpflichtungen vor allem dadurch zu erfüllen, dass man die älteren Mitarbeiter bis zur Rente weiterbeschäftigt, anstatt auch ausreichend Arbeitsplätze für neue Technologien in Deutschland zu schaffen. Deutschland dürfe „nicht zu einem Altenheim werden, in dem die Beschäftigung langsam ausläuft“.

Gewerkschaft fordert neues Kurzarbeitergeld

Die verbreitete Unsicherheit liegt Hofmann zufolge aber nicht nur an den Unternehmen, sondern auch an den unklaren Rahmenbedingungen, etwa mit Blick auf die E-Mobilität und die Energiewende. Diese Ungewissheit verzögere Investitionen der Unternehmen und könne ebenfalls Beschäftigung kosten. Auch die Perspektiven der E-Mobilität sind noch unklar, weil die Sorge um ausreichende Lademöglichkeiten und die Reichweite der Batterie, aber auch die Diskussion um die Klimabilanz des verwendeten Kohlestroms, Interessenten möglicherweise vom Kauf abhalten.

Für 29. Juni hat die IG Metall zu einer großen Demonstration in Berlin aufgerufen, bei der sie von der Politik soziale Gerechtigkeit beim technologischen Wandel verlangen will. Eine zentrale Forderung ist dabei das sogenannte Transformations-Kurzarbeitergeld, das Hofmann mit den sozialen Leistungen vergleicht, die während der Wirtschafts- und Finanzkrise vor zehn Jahren gezahlt wurden. Damals wurde das Kurzarbeitergeld zeitweise so ausgeweitet, dass Firmen, deren Aufträge wegen der Wirtschaftskrise einbrachen, ihre unbeschäftigten Mitarbeiter nicht auf die Straße setzen mussten. Eine ähnliche Brücke werde auch beim Wandel der Technologie benötigt, wenn die Beschäftigung durch einen Rückgang bei den Verbrennungsmotoren schneller sinkt als sie im Bereich alternativer Antriebstechnologien steigt. Ein neues, ausgeweitetes Kurzarbeitergeld soll den Betrieben helfen, die Löhne auch dann weiterzuzahlen, wenn sich die Beschäftigten für neue Technologien weiterbilden.