Von wegen Splittergruppe: „Die Partei“ des Satirikers Martin Sonneborn zieht in einige Gemeinderäte im Südwesten ein – wie manch andere kleine Listen auch. Foto: Leif Piechowski/Lichtgut Foto:  

In etlichen Gemeinderäten im Land haben nach den Kommunalwahlen jetzt mehr Gruppierungen Sitz und Stimme als früher – so auch in Freiburg und Ulm. Braucht es eine Sperrklausel?

Freiburg/Ulm - Der Gemeinderat ist jünger, weiblicher und bunter geworden“, sagte der Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos), als das Kommunalwahlergebnis in der südbadischen Studentenstadt bekannt gegeben wurde. Vor allem mit der „bunten“ Zusammensetzung wird er sich als Chef der Verwaltung und des Gemeinderats in den nächsten fünf Jahren herumschlagen müssen. „Es wird eine Herausforderung“, räumt Horn ein. Denn von den 18 konkurrierenden Listen haben 16 (!) den Einzug mit mindestens einem Mandat in den 48-köpfigen Gemeinderat geschafft.

Neu gewählt wurden Räte für die erstmals angetretenen Listen von AfD (2), Urbanes Freiburg (1), Bürger für Freiburg (1) sowie Teilhabe und Inklusion (1). Daneben sind die bereits etablierten kleinen Gruppen Linke Liste, Grüne Alternative, Freie Wähler, Freiburg Lebenswert, FDP, Junges Freiburg, Die Partei, Kulturliste und Unabhängige Frauen mit zusammen 18 Sitzen vertreten.

Die Zahl der Parteien ist gewachsen

So wie in Freiburg sieht es in vielen Stadtparlamenten im Südwesten aus: Die Zahl der Parteien und freien Listen, die auf der kommunalpolitischen Ebene mitreden und mitregieren, hat zugenommen. In Stuttgart beispielsweise sitzen künftig 14 Gruppierungen am Ratstisch, in Mannheim und Karlsruhe sind es jeweils 10. Und nicht nur in den großen Städten ist eine Zersplitterung zu beobachten.

In Freiburg kommen die Grünen (13), die SPD (6) und die CDU (6) nur zusammen in einer Art extragroßen Koalition auf eine rechnerische Mehrheit von 25 von 48 Sitzen, jeder koalitionsähnliche Zweierbund bliebe in der Minderheit. „Die Mehrheitsfindung wird nicht einfacher“, sagt OB Horn. Der Finanzbürgermeister Stefan Breiter ergänzt: „Ich glaube aber an seriöse Bündnisse im Gemeinderat.“ Der Christdemokrat, dessen Partei im Rat zwei Sitze verloren hat, fürchtet vor allem das „Wunschkonzert“ bei den Haushaltsberatungen von kleinen Gruppierungen, die ihrer Klientel beweisen müssen, dass auch sie in der Lage sind, etwas herauszuholen.

Experte: Politik wird unberechenbarer

16 Listen im Rat – ist das nicht eine nahezu unzumutbare Zersplitterung? „Nein, ich glaube, dass der Oberbürgermeister mit einer links-rot-grünen Mehrheit kalkulieren kann“, glaubt Michael Wehner, der Leiter der Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung. Dass die „Ein Punkt“-Gruppen zulasten der „Vollsortimenter“ zunehmen, macht ihm gleichwohl Sorgen, Politik werde so „unberechenbarer“. Wehner persönlich hielte die Einführung einer Sperrklausel oder die Rückkehr zum alten Auszählverfahren für sinnvoll.

Wehners Politologenkollege Ulrich Eith sieht die Vielfalt gelassen. „Es ist im Sinne der Demokratie auch ein gutes Zeichen, dass sich Gruppen zusammenfinden und neue Listen gründen“, findet der Leiter der Arbeitsgruppe Wahlen an der Uni Freiburg. Und offensichtlich gebe es ja auch einen Bedarf dafür. „Die neuen Listen stehen in der Tradition der Freien Wähler, die es in Baden-Württemberg schon lange gibt.“ Diese werden jedoch bereits zum „alten“ bürgerlichen Spektrum gezählt, während die neuen Gruppierungen oft nur ein einziges Thema haben. Zum Beispiel den Tierschutz (mit einem Vertreter jetzt im Gemeinderat von Lahr vertreten) oder die Inklusion (ein Sitz in Freiburg).

Aufsplitterung auch in Ulm

Dass die Städte unregierbar werden, befürchtet Eith nicht. „Wer etwas durchsetzen will, muss verhandeln, Bündnisse schmieden und Kompromisse schließen. Das ist das normale politische Geschäft.“ Niemand habe behauptet, dass dies einfach sei. Im Übrigen müsse man „abwarten, wie sich die Dinge in den nächsten Wochen sortieren“. Denn die Einzelkämpfer haben die Möglichkeit, irgendwo anzudocken oder sich zu ganz eigenen Fraktionen zusammenzuschließen, wie es in Freiburg seit Jahren die Kulturliste, die Unabhängigen Frauen und die Linke Liste als „Unabhängige Listen“ tun.

Eine Aufsplitterung im Rat hat es, hinter den Grünen als großem Wahlsieger, auch in Ulm gegeben – aus bisher zehn Listen sind seit Montagabend 13 geworden. Der Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU), dessen Parteikollegen sich im Rat an Zahl halbierten, reagierte darauf mit dem Appell an alle Neugewählten, „verantwortungsvoll“ zu handeln.

Vielfalt kann auch eine Last sein

Dass solche Appelle verfangen, hofft man auch beim Städtetag Baden-Württemberg. „Vielfalt ist etwas, das die Kommunalpolitik sehr erschweren kann“, sagt die Hauptgeschäftsführerin Gudrun Heute-Bluhm. „Die Politik aufzumischen ist ja noch keine neue Politik.“

Das Phänomen der Interessenvervielfachung betrifft nach der Beobachtung von Heute-Bluhm die kleineren und mittleren Städte nicht so sehr. Der Städtetag möchte beim Innenministerium dennoch weiter darauf dringen, das Kommunalwahlsystem „moderat“, aber so zu ändern, dass die „Überbetonung“ kleiner Wahllisten künftig gemindert wird. Wie die wichtigsten Rathauschefs im Land mit den neuen Verhältnissen und möglichen erheblichen Störungen umgehen, werde demnächst ein Thema sein. „Wir werden das im Kreis der A-Städte sicher diskutieren“, sagt die Hauptgeschäftsführerin.