Parade zum Unabhängigkeitstag: Die Ukraine setzt stark auf ihr Militär. Foto: dpa

Die Ukraine strebt in die Nato, doch die Hürden dafür scheinen momentan unüberwindlich zu sein. Die Bestechung grassiert. Von einem Rechtsstaat kann keine Rede sein, wie bei einer Konferenz deutlich wurde.

Kiew - Alles, was in der Ukraine politisch Rang und Namen hat, diskutierte in den vergangenen drei Tagen über nichts weniger, als darüber, welche Zukunft das Land hat. Vor allem Präsident Petro Poroschenko und Ministerpräsident Wladimir Groisman unterstrichen auf dem 14. Jahrestreffen der YES-Konferenz in Kiew Forderungen nach einem zügigen Nato-Beitritt. Wie viel Rhetorik dabei im Spiel war, und wie ernst man dieses Ziel wirklich nahm, wurde nicht klar. Präsident Poroschenko kündigte für die am Dienstag beginnende UN-Vollversammlung in New York an, er werde nicht nur über die Entsendung von UN-Blauhelmen sprechen. Er ließ auch durchblicken, im Gespräch mit US-Präsident Donald Trump darauf drängen zu wollen, den Druck auf Russland weiter zu erhöhen – auch militärisch.

Das scheint die Strategie der ukrainischen Regierung zu sein. Auf der YES-Konferenz, die von dem pro-westlichen Oligarchen Viktor Pintschuk veranstaltet wird, waren die amerikanischen Vertreter klar in der Überzahl. Neben den Ex-Außenministern John Kerry und Condoleezza Rice waren auch Newt Gingrich, früherer Sprecher des Repräsentantenhauses, John Bolton, Ex-UN-Botschafter, sowie Robert Gates, bis 2011 Verteidigungsminister, vertreten. Sie alle hatten die Botschaft im Gepäck, dass Russlands Präsident Wladimir Putin mit der Annexion der Krim und der Besetzung weiter Teile der ukrainischen Ost-Gebiete zu weit gegangen sei. Weiter führten sie aus, dass seit mehr als drei Jahren Verhandlungen geführt worden seien, die zu nichts führten, und dass das von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Präsidenten Frankreichs, Francois Hollande, ausgehandelte Minsker Abkommen den Frieden keinen Schritt näher gebracht habe.

Die Ukraine will in die Nato, und zwar möglichst schnell

Zu einem verbalen Schlagabtausch kam es zwischen Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, und Arsenij Jazenjuk, Ex-Ministerpräsident der Ukraine. Jazenjuk forderte den Westen in harschen Worten auf, der Ukraine die Tür in die Nato zu öffnen, und zwar sofort. „Unser Land hat 1994 seine Atomwaffen aufgegeben, im Gegenzug hatte sich nicht nur der Westen im Budapester Memorandum 1994 dazu verpflichtet, das Land bei Angriffen zu schützen, das muss jetzt umgesetzt werden“. Botschafter Ischinger ging entschieden dagegen an und sagte: „Ich mache mich hier jetzt unbeliebt, weil ich Realist bin: Ich sage der Ukraine, sie hat derzeit keine Chance auf einen Nato-Beitritt“. Die Ukraine habe gleich mehrere Probleme, die einen Nato-Beitritt zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich machten: besetzte Gebiete, Uneinigkeit, was die Nato-Mitgliedschaft betreffe, und einen bewaffneten Konflikt mit Russland. Unter solchen Umständen sei kein Nato-Land bereit, die Ukraine aufzunehmen, weil die derzeitigen Probleme des Landes die Nato unmittelbar beeinträchtigen würden. Die Reaktionen auf diese klaren Worte waren entsprechend.

Jazenjuk bekam Unterstützung von William Hurd, einem Republikaner im US-Abgeordneten-Haus. Der Texaner betonte, dass ein Nato-Beitritt richtig, derzeit aber nicht umsetzbar sei. Deshalb müsse die Staatengemeinschaft andere Mittel ergreifen. Hurd sprach sich für die Lieferungen von „letalen“ Waffen an die Ukraine aus. „Das ist die beste Abschreckung“, sagte der 40-Jährige, der vor seiner politischen Laufbahn beim CIA gearbeitet hat.

Während die Ukrainer und die Vertreter der USA sich offen für eine harte Gangart gegen Russland aussprachen, rieten die Europäer zu einem vorsichtigeren Kurs. Das Land solle Geduld haben und sich in den nächsten Jahren intensiver als bisher um die Bekämpfung von Korruption und den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen kümmern. Michael Gahler (CDU), Abgeordneter im Europäischen Parlament, warnte, das Hauptproblem der Ukraine sei die überall grassierende Korruption. „Das Land kann dadurch von innen zerstört werden, die Korruption ist derzeit der Hauptfeind der Ukraine“, sagte Gahler und erhielt dafür mehr Applaus als Präsident Petro Poroschenko für seine Rede.

Es gibt viele Vorschläge, rechtsstaatliche Standards durchzusetzen

Auch John Kerry rief die politisch Verantwortlichen in Kiew dazu auf, sich dieses Themas nun endlich „ernsthaft anzunehmen“. Nicht nur die USA, auch die europäischen Partner hätten der Ukraine in den vergangenen Jahren unzählige Vorschläge und Hilfen angeboten, rechtsstaatliche Standards einzuführen und die Korruption zu beseitigen.

In der Tat geben die Ukrainer in einer aktuellen Befragung an, dass ihre Hauptsorgen die weit verbreitete Korruption sei, gefolgt vom Krieg in der Ost-Ukraine. Der Regierung Poroschenko/Groisman laufe die Zeit davon, sagt Politikwissenschaftler Wladimir Fesenko, Direktor am Kiewer Penta-Zentrum: „Die Menschen haben nach der Revolution im Frühjahr 2014 eine Regierung gewählt, die ihnen den Weg in Richtung einer westlichen Gesellschaft versprach. Doch vieles von dem, was angekündigt wurde, steht nur auf dem Papier, umgesetzt wurde bislang zu wenig.“