Die Zahlen derjenigen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben sind, unterscheiden sich in Europa sehr stark. Foto: dpa/Jean-Christophe Bott

Ein Blick in die Daten des Netzwerks EuroMomo zeigt deutlich, dass in Europa in den vergangenen Wochen rund 140 000 Menschen mehr gestorben sind als im langjährigen Mittel. In einzelnen Regionen liegt die Übersterblichkeit besonders hoch.

Kopenhagen - Immer wieder heißt es in Beiträgen oder Videos im Netz, durch das neuartige Coronavirus würden nicht mehr Menschen sterben als normalerweise – selbst in Italien nicht. Dazu wird oft auf die Website des Netzwerks EuroMomo verwiesen. Die Daten, heißt es dann, würden zeigen, dass die Corona-Pandemie nicht so gefährlich sein könne, da es ansonsten eine höhere Übersterblichkeit geben müsste. Auch einige prominente Kritiker der Corona-Strategie der Bundesregierung haben diese Argumentation bereits angeführt und dabei auf die Grafiken von EuroMomo verwiesen. Was steckt hinter dem Begriff der Übersterblichkeit? Und was zeigen die Daten wirklich?

Das „European Mortality Monitoring Project“ mit Sitz in Kopenhagen – kurz: EuroMomo – veröffentlicht derzeit einmal wöchentlich Statistiken zur Sterblichkeit in mehreren Ländern und Regionen Europas. Dazu gibt es einen Überblick darüber, ob in einer Woche mehr Menschen gestorben sind als im langjährigen Mittel – also mehr, als in diesem Zeitraum normalerweise zu erwarten gewesen wären. Die Rede ist dann von Übersterblichkeit. Auf der Seite von EuroMomo ist dabei explizit der Hinweis zu lesen, dass aktuelle Daten vorsichtig interpretiert werden sollten, da es etwa zu Nachmeldungen und somit Verzögerungen kommen kann.

In Deutschland keine Übersterblichkeit, in anderen Regionen sehr stark

Tatsächlich lässt sich in den Grafiken des Netzwerks für die ausgewerteten europäischen Staaten bereits ab Kalenderwoche 12 – also ab dem 16. März – ein Anstieg der Übersterblichkeit erkennen, ab Kalenderwoche 14 liegt die Rate für 2020 dann sehr deutlich über jener im selben Zeitraum 2019 und 2018. Zwischen Mitte März und Mitte April stieg der Wert nach den Daten von EuroMomo von gut 12 000 auf über 116 000 an, für Kalenderwoche 16 liegt er bereits bei mehr als 140 000 (Stand: 27. April). Das heißt: In den vergangenen Wochen starben in den 24 ausgewerteten Ländern 140 000 Menschen mehr, als statistisch zu erwarten wäre.

Im jüngsten wöchentlichen Bulletin heißt es von EuroMomo: Die Schätzungen des Netzwerks „zeigen weiterhin einen deutlichen Anstieg der Übersterblichkeit in den teilnehmenden europäischen Ländern im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie.“ Die Gesamtsterblichkeit werde durch eine sehr starke Übersterblichkeit in einigen Ländern verursacht, die vor allem in der Altersgruppe der über 65-Jährigen, aber auch in der Altersgruppe der 15-64-Jährigen auftrete.

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Konkret gibt das Datennetzwerk für Frankreich, Italien, Spanien, Großbritannien, Belgien und die Niederlande zuletzt für die Kalenderwoche 15 eine „extrem hohe Übersterblichkeit“ an, für Schweden eine „sehr hohe Übersterblichkeit“ und für die Schweiz, Portugal und Nordirland eine „hohe Übersterblichkeit“.

Für die beiden deutschen Regionen, aus denen Daten in die Auswertung fließen – Berlin und Hessen –, zeigt sich demnach keine Übersterblichkeit. Bisher sind hierzulande laut Robert-Koch-Institut 5750 Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 verstorben.

Übersterblichkeit dient üblicherweise dazu, die Zahl der Grippe-Toten zu schätzen

Rückschlüsse auf die Ursache der verzeichneten Todesfälle lassen die Daten eigentlich zunächst einmal nicht zu. So könnte es durchaus sein, dass aktuell etwa auch etwas mehr Menschen sterben als sonst, weil sie aus Angst vor dem Virus nicht zum Arzt gehen.

Die Übersterblichkeit ist insbesondere mit Blick auf die Influenza eine wichtige statistische Größe. Sie wird normalerweise dazu genutzt, die Zahl der Grippetoten in einer Saison zu schätzen. Dem Robert-Koch-Institut wird jeweils nur eine geringe Zahl an laborbestätigten Todesfällen im Zusammenhang mit der Grippe übermittelt. Die tatsächliche Zahl der Todesfälle wird dann nur geschätzt. So hat die außergewöhnlich starke Grippewelle 2017/18 in Deutschland insgesamt nach Schätzungen rund 25 100 Menschen das Leben gekostet, labordiagnostisch bestätigt waren aber nur 1674 Todesfälle.