Choreograph Demis Volpi. Foto: dpa

Das Engagement des Hauschoreographen des Stuttgarter Balletts, Demis Volpi, endet überraschend zum Ende der Spielzeit. Die Entscheidung soll rein künstlerisch begründet sein.

Stuttgart - „Krabat“, „Salome“, „Der Tod in Venedig“ - einen Erfolg nach dem anderem feiert der als Multitalent gelobte Ballettchoreograf Demis Volpi. Der erst 31-Jährige triumphiert nicht nur an seinem Stammhaus in Stuttgart. Auch am American Ballet Theatre, am Königlichen Ballett Flandern und am Ballet de Santiago de Chile inszeniert der gebürtige Argentinier Stücke. Doch nun drückt der für seinen rigorosen Führungsstil bekannte Ballettintendant Reid Anderson (68) auf die Bremse, bevor er sich 2018 selbst verabschiedet.

Demis Volpi muss gehen. Keine Vertragsverlängerung zum Ende dieser Spielzeit. So überraschend diese Personalie der international gefeierten Compagnie an diesem Dienstag kommt, Anderson erklärt, er habe dies schon im Sommer 2016 für sich entschieden.

Da feierte die Ballettwelt den jungen Star gerade für die Uraufführung des blutrünstigen Balletts „Salome“. Wegen dieses Erfolgs ist er sogar für den renommierten Tanzpreis Benois de la Danse nominiert. Doch nun kommt Anderson wenige Tage vor der Preisverleihung am 30. Mai am Moskauer Bolschoi Theater mit der erstaunlichen Erklärung, er sehe die wahren Talente Volpis anderswo.

„Demis Volpi ist ein großartiger Theatermacher und feinfühliger Geschichtenerzähler. Hier, eher als in der Choreografie, sehe ich seine wahre Begabung“, teilte der Intendant mit. Erst vor gut einer Woche lieferte Volpi eine umjubelte Koproduktion mit der Oper von Benjamin Brittens „Der Tod in Venedig“ ab.

Sind Zerwürfnisse ein Grund?

Hat es ein Zerwürfnis gegeben? Will das Stuttgarter Ballett, das sich als einziges in Deutschland mit Volpi und dem Star Marco Goecke zwei Hauschoreografen leistet, sparen? Nichts von alledem, wie eine Sprecherin der Compagnie betont. Reid Anderson habe mehrere Gespräche mit dem Künstler geführt und seine Entscheidung so begründet.

Ob der Intendant womöglich den erfolgsverwöhnten Nachwuchs aus dem Nest stößt, damit er sich noch woanders behaupten kann - nicht unmöglich, heißt es beim Ballett. Gerade erst hatte Volpi auch in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur geäußert, sich mehr Konstanz in seinem Leben zu wünschen und nicht mehr an so vielen Orten der Welt arbeiten zu müssen. Doch Tanz lebt von Veränderung, lautet eine Devise in Stuttgart.

Anderson, der seit mehr als 20 Jahren Intendant in Stuttgart ist, weiß das aus eigener Erfahrung. Als junger Tänzer kam er einst zur Zeit von John Cranko (1927 bis 1973) nach Stuttgart, tanzte hier 17 Jahre lang und ging dann in seine Heimat Kanada zurück, um dort Ballettdirektor zu werden. Als er 1996 als Intendant zurückkehrte in die Schwabenmetropole, musste er sehen, dass viele Stars wie Egon Madsen, Richard Cragun und Birgit Keil in die Jahre gekommen waren.

In dem Buch „Reid Anderson. Having It. Vom Tänzer zum Intendanten“ (Henschel Verlag) beschreibt er, wie schmerzhaft der Trennungsprozess war. Erst dann konnte er die Truppe verjüngen und international gefragte Tänzer und Choreografen sowie Ballettmeister und -direktoren hervorbringen. Anderson dürfte mit der Trennung von Volpi seinem Stellvertreter und Nachfolger Tamas Detrich eine Tür öffnen. Der US-Amerikaner übernimmt zur Spielzeit 2018/2019 das Ballett - und kann jetzt mit einem Nachfolger für Volpi einen ersten Akzent setzen.

Volpi hat bereits Pläne für die Zukunft

Die Nervosität am Stuttgarter Ballett ist wegen des Intendantenwechsels im nächsten Jahr groß. Auch wenn Detrich die Tradition fortsetzen soll, wird er trotzdem Spuren hinterlassen wollen. So dürfte auch zu erklären sein, dass der Starchoreograf Goecke unlängst in der „Stuttgarter Zeitung“ die Befürchtung äußerte, Detrich wolle ihn loswerden. Doch er bleibt. Vorerst.

Und Volpi? Der reagierte mit Bedauern auf die Entscheidung. Er sagte, künftig als freischaffender Künstler auf eigenen Beinen stehen zu wollen. In Stuttgart dürfte das schwierig werden. Hier hat noch ein anderer aus Andersons Talentschmiede längst Fuß gefasst - der Tänzer Eric Gauthier am Theaterhaus Stuttgart.

Dass Andersons Entscheidung unter manchen Fans für Unmut sorgen wird, darauf ist die Compagnie gefasst. Gleichwohl genießt der Intendant längst den Ruf, hart, aber fair zu sein. Ausdrücklich lobte Anderson noch einmal Volpis „bildstarkes und dramaturgisch hervorragend gestaltetes Ballett „Krabat““. Deswegen hatte er ihn 2013 als Hauschoreografen engagiert. Nun wünschte er dem Talent alles Beste für seinen Weg - „der sicherlich glanzvoll sein wird“.